Nicht mehr dieselben

Nicht mehr dieselben

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Drei simbabwische Darsteller_innen, die nie zuvor in Deutschland waren und drei deutsche Schauspieler_innen, die noch nie in Simbabwe gewesen sind – das war die Basis für das Theaterprojekt, deren Ergebnis nun unter dem Titel „BLACK AND WHITE ain’t no colours“ im Berliner THEATER STRAHL gezeigt wurde.

Foto: Jörg Metzner

„Wir sind nicht mehr dieselben wie vor unserer interkulturellen Reise“, sagt der simbabwische Komponist und Choreograph Nkululeko Innocent Dube über das simbabwisch-deutsche Team, das nun die Theaterproduktion „BLACK AND WHITE ain’t no colours“ auf die Bretter des Berliner Studiotheaters in der Halle.Ostkreuz brachte. Den Grundstein für die Zusammenarbeit der IYASA Kompanie aus Bulawayo und des THEATER STRAHLs aus Berlin, legten die beiden Leiter Nkululeko Innocent Dube und Wolfgang Stüßel beim Theaterfestival „Szene Bunte Wähne“ 2013 in Österreich. Das Konzept für den Arbeitsprozess auf Augenhöhe: Drei simbabwische Darsteller_innen, die noch nie in Deutschland waren und drei deutsche Schauspieler_innen, die noch nie Simbabwe gewesen sind, erarbeiten aus gemeinsamen Improvisationen eine Art szenischen interkulturellen Austausch. Aus diesem Grund reiste der deutsche Cast im April 2017 nach Bulawayo. Neben den eigenen Vorstellungen der Darstellenden vom jeweils anderen Land, wurden auch Schüler_innen in Bulawayo und Berlin gebeten, Briefe an ein Kind im Austauschland zu schreiben. Aus diesen Briefen ergaben sich die zu verhandelnden Themen für das Stück, das sich an Zuschauer_innen ab 14 Jahren richtet, aber keinesfalls dieser Altersgruppe vorbehalten ist: „Woran glaubst du? Wovor hast du Angst? Wer versteht dich?“ – diese Themen wurden nun auf dem Theater verhandelt: In einer Art transzendentem Transitraum begegnen sich die Reisenden auf der Bühne: Drei auf dem Weg nach Bulawayo, drei auf dem Weg nach Berlin. Diese Abflughalle liegt irgendwo im nirgendwo – nicht in Deutschland, nicht in Simbabwe. Niemand ist auf gewohntem Terrain. Die Wartenden aufgeschmissen. Die Tür zum Abflug öffnet sich nicht. Die Informationstafel, die eigentlich über den Abflug informieren sollte, hilft nicht weiter. Auf engstem Raum sind die Beteiligten nun zum Interagieren gezwungen. In dieser von den Machern Miniatur-Utopie genannten Zwischenwelt gibt es anscheinend nur zwei Wege: Aus Bulawayo kommend nach Berlin reisen oder umgekehrt und doch lassen sich die sechs Reisenden in drei Gruppen aufteilen. Da wäre auf der einen Seite ein etwas hysterisches deutsches Pärchen, auf der anderen Seite die drei Simbabwer_innen und irgendwo dazwischen die Figur, die von Derek Nowak verkörpert wird. „Anders als bei anderen Produktionen steht hier immer wieder die Autobiographie der Beteiligten im Fokus“, sagt Dube, der an der an der IYASA Musik- und Schauspielschule seit 2001 junge Talente fördert. „Derek ist gleich nach seiner Geburt 1984 in Harare, Simbabwe, adoptiert wurden und wuchs in Deutschland auf. Zum ersten Mal nach seiner Geburt ist er in diesem Jahr nach Simbabwe gereist“, erzählt IYASA-Gründer Dube weiter. In der Produktion ist Dereks Figur nun Mittler zwischen den beiden Gruppen, die nach und nach versuchen, mit beiderseitigen kulturellen Vorurteilen aufzuräumen. Schnell gelingt das bei übermäßigem Moskito- und Sonnenschutz oder allzu winterlicher Kleidung für den Berliner Sommer. Schwieriger wird es für die Akteure dann bei Themen wie Beziehungen und unvertrauten kulinarischen Genüssen.

„Zu wem gehörst du?“ wird Dereks Figur gefragt, doch der möchte erstmal von den Simbabwer_innen wissen, ob er denn überhaupt wie ein gebürtiger Shona aussehe. „Derek bleibt dabei ein bisschen drinnen und ein bisschen draußen und zwar in jeder der beiden Gruppen“, erklärt Dube, der die Musik und die Choreographien ebenfalls während des Arbeitsprozesses entwarf. Diese Position weicht im Verlauf jedoch auf, da sich im interkulturellen Austausch neue Gruppierungen zusammenfinden, die unabhängig von Herkunft und Reiseziel sind. Die englische Sprache wird zum Mittler zwischen der deutschen Sprache und Ndebele, das eine in Simbabwe gesprochene Sprache ist. Die völlige Aufhebung von Kommunikationsschwierigkeiten erfolgt jedoch ausschließlich in Tanz und Musik. Vor allem im Gesang verschmelzen die sechs Stimmen zu wunderbar harmonischen Melodien, die Dube selbst komponierte. Die Tänze – ob zu simbabwisch oder deutsch anmutender Musik – reißen das Publikum mit. Eingesetzt wird die Musik an Szenenübergängen – vor allem dann, wenn eine Konfrontation nicht aufgelöst werden konnte, eine Streitfrage im Raum stehenbleibt.

Grenzen werden jedoch nicht nur im Austausch aufgehoben. Die Raumkonzeption ist für die Akteure eine Grenzwanderung: Der Raum wird lediglich durch Metallstreben und Bodenmarkierungen begrenzt wird. Haben sie diesen einmal durch den seitlichen Zugang betreten, warten sie stetig darauf, die vierte Wand Richtung Publikum zu durchbrechen. Bis zum Schluss gelingt der Zugang zum Abflug, der hinter der vierten Wand liegen muss, nicht. Besonders aufregend ist daher die Finalszene, bei dem ein selbstfahrender Koffer eine der starren Grenzen durchbricht. Als sich nach einer anfänglichen Panik über das herrenlose Gepäckstück ein Figur traut, den Koffer zu öffnen, stürzen sich die Akteure auf den Inhalt, der dem Zuschauer verborgen bleibt. Vielleicht ist der Inhalt des Koffers Sinnbild für das Projekt. Eine anfängliche Sorge wandelt sich in die Sehnsucht nach dem Austausch- Eine Erfahrung, die keiner der Beteiligten missen möchte. Das meint auch der in Südafrika ausgebildete Nkululeko Innocent Dube, wenn er sagt, dass sich jeder einzelne durch diese Erfahrung verändert habe.

Im September 2017 reiste das deutsche Team von THEATER STRAHL nach Simbabwe, um die Produktion gemeinsam mit der IYASA Kompanie beim Intwasa Arts Festival KoBulawayo aufzuführen. Eine Wiederaufnahme für Berlin ist für 2018 geplant.

titel_lonam_august2017Ein Beitrag aus der LoNam-Ausgabe 03/2017 mit dem Schwerpunkt „Die Community und die Bundestagswahl“. Die Einzelausgabe mit vielen anderen Beiträgen ist bestellbar unter: abo(at)lonam(.)de