Sehnsucht nach ‚Mensch-Sein‘ – Label Noir

Sehnsucht nach ‚Mensch-Sein‘ – Label Noir

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Im Theater und Film muss man sich als Schauspieler darauf einstellen, dass oft nach TYPEN gesucht wird. Als schwarzer Schauspieler bedient man jedoch immer noch nur das TYPische Klischee. Lara-Sophie Milagro begibt sich mit ihrem Künstlerkollektiv auf den Weg hinzu Veränderung.

Foto: Kasimir Bordasch

Frau Milagro, Sie sind Schauspielerin, Autorin und Regisseurin. Vor wenigen Jahren gründeten Sie Label Noir, was hat es damit auf sich?
Label Noir ist ein Künstlerkollektiv, Performance- und Produktionsnetzwerk, das seit 2009 in Berlin existiert. Wir sind ein Kernteam aus vier Personen, Dela Dabulamanzi, Jonathan Aikins, Zandile Darko und ich. Darüber hinaus arbeiten wir mit einem Künstlerpool zusammen aus dem wir für unsere Arbeit Leute rekrutieren. Nach dem großen Erfolg unseres ersten Stücks „Heimat, bittersüße Heimat“, etablierten wir uns als Netzwerk und daraus wurde Label Noir. Wir wollten in einem künstlerischen Rahmen zusammenkommen, in dem man sich außerhalb gängiger Klischees vom „ethnischen Erscheinungsbild“ ausdrücken, weiterentwickeln und gegenseitig empowern kann. Wir sehnten uns nach einem Theater, in dem wir nicht nur über unsere vermeintliche Herkunft definiert werden sondern über unser Mensch-Sein. Wir haben alle die Erfahrung gemacht immer wieder für Schwarze Klischeerollen besetzt zu werden. Wir wollen Theater machen, das weiter geht als zum tausendsten Mal einen Bootsflüchtling von einem Schwarzen Schauspieler spielen zu lassen.

Gibt es denn immer noch so viele Klischee-belastete Rollen oder ist eine Entwicklung zu erkennen?
Beides. Es gibt immer noch unheimlich viele Klischee-belastete Rollen. Nicht nur bei Schwarzen Schauspielern sondern auch bei türkisch-deutschen oder asiatisch-deutschen Kollegen. Da tausche ich mich auch oft aus. Diese Kollegen bedienen dann eben in den Augen der Mehrheitsgesellschaft oft ein anderes Stereotyp wie das des Sprengstoff-Attentäters. Es wird noch einige gesellschaftlichen Veränderungen geben müssen. Gleichzeitig gibt es aber auch Bewegung. Wir leben mittlerweile in einer Zeit, in der die sogenannten Minderheiten-Communities groß und selbstbewusst genug sind, um bestimmte Dinge einzufordern, gleichberechtigte Teilhabe am kulturellen Leben zum Beispiel. Sie sind integraler Bestandteil, nicht nur des Kulturbetriebs, sondern auch in der Gesellschaft, der Politik. In all diesen Bereichen gibt es immer mehr POC in Schlüsselpositionen.

Foto: Kasimir Bordasch
Foto: Kasimir Bordasch

Ist Diversität am Theater generell ein Problem? Zum Beispiel die Integration von Menschen mit körperlichen und/oder geistigen Einschränkungen oder Migrant_innen?
Ja, es betrifft nicht nur die sogenannte ethnische Zugehörigkeit. Es gibt auch viel zu wenig Frauen in den Schlüsselpositionen. Es gibt ja nach wie vor sehr wenige Intendantinnen in Deutschland. Menschen mit körperlichen Einschränkungen sehe ich noch viel weniger im Theaterbetrieb als POC-Schauspieler. Es gibt also sicherlich nach wie vor weitreichende Diskriminierung, auch im Theater. Das kuriose dabei ist, dass Theater eigentlich den Anspruch hat, die Gesellschaft abzubilden, Horizonte zu erweitern und Missstände aufzudecken, aber dann oft genau die gesellschaftlichen Minderheiten ausschließt, als deren Sprachrohr es sich sieht. Angehörige dieser Minderheiten sind meist weder als Schauspieler, noch als Produzenten oder Dramaturgen, noch im Publikum anwesend. Diese Debatte läuft schon sehr lange: wie können Theater mehr Menschen mit sogenanntem Migrationshintergrund als Publikum gewinnen? Diese Menschen sehen sich hier oft nicht repräsentiert, sie sehen auf der Bühne nicht ihresgleichen und keine Geschichten aus ihrem eigenen Leben. Wenn ich als Frau ins Theater gehe und so gut wie nie eine Frau auf der Bühne sehe, dann fühle ich mich nicht angesprochen. Dann komme ich da nicht vor, dann werden da nicht die Themen verhandelt, die mich interessieren und meine Perspektive aufzeigen. Ich glaube, das ist ein wichtiger Punkt.

Machen Theater- und Filmemacher in Rollenausschreibungen konkrete Angaben zum Erscheinungsbild des_r Schauspielers_in?
Das ist ein sehr komplexes Thema. Im Theater und auch im Film muss man sich als Schauspieler darauf einstellen, dass oft nach Typen gecastet wird. Bei Schwarzen Darstellern kommt es meist gar nicht zu typologischen Unterscheidungen, weil die Hautfarbe bereits als Typ angesehen wird. Schwarz sein ist aber kein Typ, kein Rollenfach, genauso wenig wie Weiß-sein. Als Schwarzer Schauspieler in Deutschland passiert es einem immer wieder, dass man sich in einem Casting mit anderen Schwarzen Schauspielern wiederfindet, die vollkommen unterschiedliche sogenannte Typen repräsentieren: drall und sexy, groß und androgyn, mütterlich oder mädchenhaft. Man hat sozusagen nichts gemeinsam außer, dass man eben nicht-Weiß ist. Es ist auch immer schwer festzumachen, warum man für eine Rolle abgelehnt wurde. Man kann natürlich immer sagen, dass jemand anders einfach besser war und in vielen Fällen stimmt das sicherlich auch. Aber sieht man sich die Gesamtsituation an, sind Schwarze oder POC-Schauspieler im deutschen Theater und Film einfach unterrepräsentiert. Lässt das den Schluss zu, dass sie einfach immer schlechter sind als ihre Weißen Kollegen? In Ausschreibungen wird das sogenannte ethnische Erscheinungsbild meist nur explizit benannt, wenn jemand gesucht wird, der nicht-Weiß ist. Weiß ist eben die Norm. In den USA oder England habe ich das anders erlebt. Dort wird es direkt benannt und zwar fast immer. Es heißt dann es wird ein Darsteller mit Kaukasischem, Asiatischem oder Schwarzem Erscheinungsbild gesucht, wobei das dann durchaus auch die Rolle einer Ärztin oder Anwältin sein kann. In Deutschland werden Schwarze Schauspieler in den meisten Fällen nur für ganz bestimmte Rollen gesucht. Zum Beispiel für Flüchtlingsdramen, Migrationsgeschichten oder amerikanische Stücke, in denen eine Figur vorkommt, die ausdrücklich als Schwarz beschrieben wird.

Das Maxim-Gorki Theater in Berlin hat sich in den letzten Jahren dem Aufbrechen gängiger Traditionen verschrieben. Wie gelungen schätzen sie diese Arbeit ein?
Was Shermin Langhoff und ihr Ensemble am Gorki Theater machen, finde ich großartig! Das war auf jeden Fall ein Einschnitt als sie 2013 die Intendanz übernahm. In meiner Wahrnehmung war es das erste Theater mit einem sogenannten multiethnischen Ensemble. Und dort gibt es eben nicht nur einen türkisch-deutschen Schauspieler oder eine Schwarze Schauspielerin, sondern mehrere, die verschiedene Typen verkörpern. Das heißt, ein Schwarzer Darsteller wurde nicht wegen seiner Hautfarbe ausgewählt, sondern weil er gut ist und einen bestimmten Typ abdeckt. Das ist ein Meilenstein.

Spielen Sie gerade eine Rolle an einem Theater?
Ich spiele gerade am Residenztheater in München in dem Stück „Geächtet“ von Ayad Akhtar eine amerikanische Anwältin. Das Stück wurde 2013 mit dem Pulitzerpreis ausgezeichnet und meine Rolle ist wirklich sehr schön. Sie gibt mir als Schauspielerin Stoff für Auseinandersetzung, der weit über Hautfarben-Klischees hinaus geht. Besonders in Produktionen amerikanischer Stücke an deutschen Theatern hat sich besetzungstechnisch einiges verändert in den letzten Jahren, seitdem es 2011 die erste öffentliche kritische Debatte um Black-Facing auf deutschen Bühnen gab, angestoßen durch den US-Dramatiker Bruce Norris. Blackfacing ist in den USA schon lange als rassistisch konnotiertes Stilmittel tabu, während es in Deutschland immer noch verwandt wird und man die Diskussion darüber oft für übertrieben hält.

Das Interview führten Alexandra Militz und Monique Meneses

lonam_oktober2016Ein Beitrag aus der LoNam-Ausgabe 5/2016 mit dem Schwerpunkt „Wohin steuert Südafrika?“.
Die Einzelausgabe mit vielen anderen Beiträgen ist bestellbar unter: abo(at)lonam(.)de

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