Klassiker des afrikanischen Films: Xala (oder „Der verfluchte postkoloniale Staat“)

Klassiker des afrikanischen Films: Xala (oder „Der verfluchte postkoloniale Staat“)

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Viel Zeit zu Hause - viel Zeit für Film! Passenderweise haben wir die aktuelle Ausgabe der LoNam diesem Thema gewidmet. Noch kurze Zeit ist sie im Handel zu haben. Doch auch hier möchten wir Ihnen eine Perle des afrikanischen Films vorstellen...

Film Still aus Xala (c) Ousmane Sembène

Das Filmmagazin „Empire“ zählte einst den Film „Xala“ von Ousmane Sembène, der für manche als „Vater“ des sub-saharischen Kinos gilt, zu den 100 besten Filmen der Welt. Der Film aus dem Jahr 1975 gilt als eine Art Karikatur afrikanischer Bourgeoisie. 

El Hadji Aboukader Beye hat alles, was man in einem afrikanischen Staat postkolonialer Prägung nur haben kann. Der einflussreiche Geschäftsmann hat Geld, beste Kontakte zu anderen Geschäftsleuten, zur Politik und ist mit zwei Frauen verheiratet, die nächste Hochzeit wird bereits geplant. Als Teil einer europäisierten Elite, die den Luxus von importierten Produkten, Anzügen und teuren Autos kennt, erhebt sich El Hadji über die anderen Menschen im Senegal. Spricht man den Geschäftsmann auf Wolof an, so antwortet er auf Französisch. El Hadji Aboukader Beye ist ein emblematischer Vertreter jener Klasse, die auch der großartige Chinua Achebe in No Longer At Ease beschreibt: vertraut mit der europäischen Bildung, paternalistisch gegenüber jenen Traditionen, die ihnen missfallen, und durchaus mehr als nur ein bisschen korrupt. In Tansania nannte man diese Art politischer Figuren wegen ihrer Vorliebe für Autos der Marke Mercedes Benz Wabenzi. In „Die Verdammten dieser Erde“ warnte Frantz Fanon eindrücklich vor ihnen: Ambitionierte Politiker*innen, die sich der nationalen Befreiungsbewegung bedienen, um sich selbst an der Spitze des Staates zu installieren, ihn als persönliche Einkommensquelle gebrauchen und die ehemalige Kolonialmacht beerben.

Film Still aus Xala (c) Ousmane Sembène
Film Still aus Xala (c) Ousmane Sembène

Schon der Beginn des Filmes von Ousmane Sembène erscheint wie eine politische Karikatur, die diesen Gedanken verdeutlicht. Eine Gruppe Männer verjagt die weißen Administrator*innen aus der Handelskammerm, um die Revolution und die Unabhängigkeit zu feiern. Neue Bilder werden an die Wand gehängt, der Sozialismus proklamiert. Doch auf einmal tragen die Männer keine traditionelle Kleidung mehr, sondern Anzug und Fliege. Die einstigen Herren sind jetzt auf vermeintlich beratenden Status reduziert und sitzen still im Hintergrund, nachdem sie jeden der neuen Big Men mit einem Koffer voller Geld ausgestattet haben.

Wenn dir das nicht gefällt, nimm deine Revolution mit und geh!“

Film Still aus Xala (c) Ousmane Sembène
Film Still aus Xala (c) Ousmane Sembène

Im Haus von El Hadjis erster Frau, die sehr unglücklich mit der Entscheidung ihres Mannes ist, noch eine neue, jüngere Frau zu heiraten, kommt es zu einem Disput zwischen ihm und seiner Tochter Rama. Als ihre Mutter Adja ihren Unmut über die bevorstehende Hochzeit äußert, entgegnet Rama, dass Männer nichts als dreckige Hunde seien. In just diesem Moment betritt El Hadji den Raum, selbstverständlich ungläubig über die Äußerungen seiner Tochter. Als diese ihre Position bekräftigt und nachsetzt, dass alle polygamen Männer Lügner seien, muss El Hadji das letzte Mittel seiner vermeintlichen Überlegenheit zu Hilfe ziehen und schlägt seine Tochter. Er erinnert sie daran, dass Männer wie er die Kolonialist*innen aus dem Land geworfen haben, er der Mann im Haus und Polygamie Teil des religiösen Patrimoniums ist. Der Rückgriff auf Gewalt ist hier der Ausweg, da er nicht in der Lage zu sein scheint, seiner Tochter verbal zu widersprechen.

Auf der Hochzeitsfeier sehen wir, wie El Hadji ein traditionelles Ritual ablehnt, dass er als lächerlich empfindet. Daraufhin bekommt er die Entgegnung, dass er nichts Besonderes sei und kein Weißer Mann.

Der Fluch

Als wäre seine Weigerung, die Missachtung der afrikanischen Kultur, bereits ein schlechtes Omen, beginnt mit der Hochzeitsnacht, die eigentlich im Zeichen seines Überflusses, seines gesellschaftlichen Status als einflussreicher Mann stehen sollte, der Fall des El Hadj Aboukader Beye.

Er hat sich den Fluch, Xala genannt, zugezogen, der ihn impotent macht, ihm seine Männlichkeit raubt. Für einen Mann wie ihn eine unbeschreibliche Demütigung. Einer seiner „ehrenwerten Kollegen“ empfiehlt ihm die Dienste eines ihm bekannten Marabouts, der den Fluch brechen soll, doch erfolglos. Auch in den weiteren Nächten keine Besserung. Schließlich weiß sein Chauffeur noch einen Rat: Der Marabout seines Vertrauens könnte dem Fluch sicherlich den Garaus machen. Und tatsächlich funktioniert das Ritual. Währenddessen bekommen wir allerdings mit, wie sich weitere Probleme anbahnen. El Hadjis Importgeschäft läuft schlecht, die Lieferungen kommen nicht. Seine Mitarbeiter*innen beschweren sich beim Präsidenten wegen der ungedeckten Checks. Einen solchen benutzt er auch, um die Dienste des Marabouts zu entlohnen. Dieser jedoch hatte ihn gewarnt: Was die eine Hand nimmt, kann die zweite zurückgeben.

Film Still aus Xala (c) Ousmane Sembène
Film Still aus Xala (c) Ousmane Sembène

Während sich El Hadji also in der widersprüchlichen Lage sieht, zwar seine Potenz zurückzugewinnen, aber das Vertrauen seiner Geschäftspartner*innen zu verlieren, wird ihm wegen Insolvenz sein Laden genommen. In der Handelskammer wird er von den Kolleg*innen zur Rede gestellt. Er verteidigt sich, indem er erklärt, dass es zwischen ihnen keinen Unterschied gibt. Sie sind alle gleichermaßen korrupt, profitieren von illegalen Geschäften und bestechen die Justiz. Seine flammende Selbstanklage kann ihn jedoch nicht retten. Sein Ausschluss ist beschlossene Sache und auch der Ersatz steht schon bereit.

Vor den Ruinen seiner Existenz verweilend kehrt der Marabout zu ihm zurück und erinnert an seine Warnung. Schließlich erfahren wir, dass einer von den Bettelnden gegenüber von El Hadjis Laden für den Fluch verantwortlich ist. El Hadji hatte mit unlauteren Mitteln dafür gesorgt, dass ihm die Rechte am Land der Familie des Bettlers zugesprochen wurden. Somit fallen die Ursachen seines unsäglichen Lebensumstandes letztlich auf El Hadji zurück. Wie mit Bettelnden, sozial ungewollten, verfahren wird, war bereits zu sehen: Wenn sie den Weg eines Reichen kreuzen, der freie Aussicht braucht, werden sie von der Polizei zusammengeschlagen und deportiert.

Die Diktatur des Proletariats

Nun steht die Situation auf dem Kopf: El Hadji ist auf die Bettelnden angewiesen, um seine Männlichkeit wiederzuerlangen. In einem kathartischen Ritual kehren sich auch die Machtverhältnisse um.

Dieses symbolisch stark aufgeladene Finale verdeutlicht den notwendigen revolutionären Umsturz gegen die nationale Bourgeoisie. Wie Frantz Fanon beschreibt, ist die nationale Befreiung nur mit der Erlangung der Unabhängigkeit nicht abgeschlossen, vielmehr beginnt erst dann die Zuspitzung des Klassenkampfes gegen die postkoloniale Elite. In Sembènes Film rebellieren die Ausgestoßenen, die Unerwünschten. Indem sie sich an den Vorräten in El Hadjis Haus bedienen, eignen sich das an, was ihnen genommen wurde und heben sein Eigentum auf. Bezeichnenderweise betritt am Ende ein Polizist das Haus, der der Unruhe auf den Grund gehen will. El Hadji hätte hier die Möglichkeit, sein Hausrecht umzusetzen, doch das Verhältnis der neuen sozialen Beziehungen zu den Bettlern zwingt ihn, den Polizisten, der sie zwar von sich aus festnehmen würde, doch das Privateigentum respektieren muss, fortzuschicken. Das Haus ist in diesem Moment jedoch nicht mehr seins, sondern ihres. Was sich an dieser Stelle vollzieht ist die Expropriation des Expropriateurs.

Die postkoloniale Bourgeoisie, wie Ousmane Sembène sie hier darstellt, mit all ihrem Prunk und ihrer Verachtung für das gemeine Leben, ist eine bloße Karikatur ihrer selbst. In jeder der inszenierten Zusammenkünfte, von der Wortwahl bis zu ihren Gesten, liegt eine Art Übertreibung, die ihren universalen Machtanspruch ins Lächerliche zieht. Denn Hinter der Fassade des Reichtums verbergen sich Unwissen und Unfähigkeit. Die postkoloniale Bourgeoisie ist nicht in der Lage, die unabhängige Nation zu entwickeln, sondern muss sich darauf beschränken, den Lebensstil der europäischen Bourgeois zu imitieren.

Kofi