Kooperation oder Abschottung? -Teil 2

Kooperation oder Abschottung? -Teil 2

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In unserer aktuellen Print-Ausgabe berichteten wir über die immer konkreter werdenden Pläne der Energieministerien von Tschad und Nigeria, ihre Stromnetze zu verbinden, was in nigerianischen und sozialen Medien für vehementen Widerspruch sorgte. Hier ist der zweite Teil des Artikels:

Foto: FuFu Wolf on Flickr; Lizenz: CC BY 2.0 https://creativecommons.org/licenses/by/2.0/

Auch Kazeem Shamsudeen vom Nachrichtenmagazin „The Nation“ bezeichnet die Pläne als „unvernünftig“ und erklärt: „Lediglich 16 von den 27 Kraftwerken unseres nationalen Stromnetzes generieren derzeit Megawatts. Expert*innen sagen, Nigeria benötigt 20.000 Megawatt, um ein starkes Wirtschaftswachstum zu ermöglichen.“ Gerade in anbetracht einer sehr wahrscheinlichen Rezession durch die Corona-Pandemie fürchten ohnehin viele Nigerianer*innen um das wirtschaftliche Fortkommen ihrer Nation. Auch gegenüber den Investor*innen, die das nationale Netz seit seiner Privatisierung 2013 mit aufgebaut haben, sei der Deal ungerecht. Mit starken Worten endet der Artikel von Addah: “Den Strom an Tschad zu verkaufen, den wir nicht in Genüge für unseren eigenen Verbrauch haben, wird unsere Energie- und Wirtschaftssicherheit gefährden. Die föderale Regierung sollte das Richtige tun, und das bedeutet, patriotisch genug sein, dieser wohltätigen Scharade zu entsagen. Präsident Muhammadu Buhari wurde vom nigerianischen Volk gewählt, um ihm zu dienen. Und seine Wohltätigkeit sollte zu Hause beginnen!“

Auf der anderen Seite ist es gerade das erklärte Ziel von WAPP, auf die Etablierung einer stabilen Stromversorgung für alle ECOWAS-Staaten hinzuarbeiten. So wurden im Rahmen von WAPP gemeinsame Projekte der Energieunternehmen verschiedener Länder initiiert wie die Gouina Hydroelectric Power Station, der CLSG Interconnector, das Riviera-Prestea Interconnector Projekt, die Fomi Hydroelectric Power Station, die Kassa B Hydroelectric Power Station und die Souapiti Hydroelectric Power Station. Außerdem bauen derzeit die Republik Benin, Burkina-Faso, Niger und Nigeria gemeinsam eine 875 Kilometer und die Kapazität von 330 Kilovolt umfassende Stromleitungslinie, die sogenannte “North Core Transmission line”.
Und auch das nationale Strategieprogramm TREP (s.o.) des einzigen in staatlicher Hand verbliebenen nigerianischen Netzbetreibers TCN ist daraufhin konzipiert, unter anderem gerade mit und durch die Expansion des Netzes und den Anschluss an Netze anderer WAPP-Länder für mehr Stabilität in der Energieversorgung zu sorgen. Außerdem gelten für alle TREP-Projekte Regelungen einer intensiven Supervision und Überwachung, der Ausbau von Personal-Kapazitäten und -Qualität sowie ein effizienteres, bürokratisch schlankeres und auf Qualifikation fokussiertes Auftragsvergabesystem. Expert*innen sehen nämlich gerade in diesen Punkten die Wurzel der Stabilitätsproblematik in der nigerianischen Energieversorgung. Dahingehend äußerte sich auch
Prof. Ben A. Onunwor von der Rotating Machinery Co. (Nig) Ltd.in Reaktion auf oben genannten Artikel in “The Nation“ dahingehend, dass die Lösung der Probleme der nigerianischen Stromversorgung eben nicht durch ein Aufkündigen internationaler Vereinbarungen und Kooperationen läge. Die Ursachen seien vielmehr in mangelndem tchenischen Know How, Schwierigkeiten in der Rotation von Instandhaltungs-Equipment und einer ungenügenden Nutzung bereits vorhandener Kapazitäten. Bei einer Inspektion von Kraftwerken durch ein Team der National Electric Power Authority (NEPA) wude festgestellt, dass die Kraftwerke im Durchschnitt nur 25 Prozent ihrer eigentlichen Proktivitätskapazitäten nutzten. Viele Maschinen blieben ungenutzt ode rim Leerlauf. So seien zum Beispiel die Anlagen im Kraftwerk von Alaojii darauf ausgelegt, sowohl mit Gas als auch Dampf betrieben werden zu können. Die Dampfsystematik sei jedoch nie in Betrieb genommen worden, und so fiele die Stromproduktion aus, sobald die Belieferung mit Gas von der Nigerian National Petroleum Corporation (NNPC) ins Stocken gerät. In den Kraftwerken von Sapele und Ughelli gäbe es ähnliche Probleme; außerdem würden hier aufgrund fehlender Ersatzteile funktionierende Maschinen ausgeschlachtet, um andere am Laufen zu halten.

Wie so oft liegt die Lösung also wohl nicht in der Bekämpfung des Neuen, der Veränderung und der scheinbaren Bedrohung von außen (Tschad wurde in einigen nigerianischen Medien im Zuge dieser Debatte bereits mehrfach als vermeintlicher „Schmarotzer“ dargestellt, der die nigerianische Gutmütigkeit ausnutzen wolle), sondern im kritischen Blick nach innen und auf die eigentlichen Ursachen. Ob dies der nigerianischen Bevölkerung noch vor der Implementierung der bilateralen Netzverbindung vermittelt werden kann, bleibt eine Frage der Kommunikation.

Julia Bittermann