Ruanda: Ein langer Weg der Versöhnung – 25 Jahre nach dem Genozid
25 Jahre nach dem Völkermord erinnern die Menschen in Ruanda und der Diaspora an die schrecklichen Ereignisse von 1994. Die offiziellen Gedenkveranstaltungen begannen am 07. April in der Hauptstadt Kigali am Völkermord-Denkmal von Gisozi, wo der ruandische Präsident Paul Kagame gemeinsam mit anderen politischen Vertreter*innen eine Flamme entzündete. Damit wurde eine landesweite Gedenkwoche eingeleitet, die mit dem gestrigen Sonntag endete. Bis Juli gilt weiterhin Staatstrauer.
1994 wurde Ruanda zum Schauplatz eines der schlimmsten Verbrechen in der Geschichte: Innerhalb von 100 Tagen töteten Angehörige der Hutu-Mehrheit etwa 1 Millionen Tutsi sowie moderate Hutu, die sich entweder nicht am Völkermord beteiligen wollten, oder sich aktiv dagegen einsetzten. Die Internationale Gemeinschaft sah tatenlos zu. Heute gilt Ruanda dank umfassender staatlicher Versöhnungsprozesse als vereint – ein langer Weg der Versöhnung. „Man wird die Toten nie wieder zum Leben erwecken können, aber Ruanda hat sich seit 1994 wieder von Grund auf erneuert. Ich denke das ist für jeden sichtbar. […] Das grenzt an ein Wunder für mich,“ so die Aktivistin Dafroza Gauthier.
Die Geschichte der Gewalteskalation zwischen den beiden Völkern reicht bis in die Kolonialzeit zurück. „Vor der Kolonialisierung gab es keine starren ethnischen Gruppen in Ruanda. Man konnte ein Hutu sein und dann ein Tutsi werden. Das hing ganz einfach davon ab, wie viele Kühe man besaß“, so D’artagnan Habintwali, der als Führer bei der Völkermord-Gedenkstätte in Kigali arbeitet. Ruanda war bis zum Ende des Ersten Weltkrieges (1884 – 1916) deutsche, bis 1962 dann belgische Kolonie. Die Kolonialpolitik fehlinterpretierte bestehende Gesellschaftsverhältnisse und etablierte die Tutsi-Minderheit als vorherrschende Bevölkerungsgruppe. 1932 wurden zudem Zugehörigkeiten in Ausweisen festgeschrieben. Dadurch entstand eine tiefe Kluft, die langfristig zu dem Genozid führte.
Eine frühzeitige humanitäre Intervention von internationaler Seite erfolgte 1994 jedoch nicht – im Gegenteil: Die vor Ort stationierte Friedenstruppe der Vereinten Nationen, die United Nations Assistance Mission for Rwanda (UNAMIR), wurde bei Ausbruch der Gewalt verkleinert. Zudem wird Frankreich vorgeworfen, sich an den Verbrechen beteiligt zu haben, gar den Extremist*innen Waffen geliefert zu haben. Insgesamt wurden circa 3,5 Millionen Menschen getötet. Auch heute noch schützt Frankreich viele, die Verhaftungen befürchten. In Frankreich müssen sie nämlich weder mit Bestrafungen noch Auslieferungen rechnen. Bisher gab es dort nur drei Urteile gegen Völkermörder. Proteste kommen von zivilgesellschaftlichen Initiativen. Diese kämpfen für eine umfassende Aufklärung der Morde.
Heute bezeichnen sich die Angehörigen der Tutsi und Hutu als Ruander*innen. Diese Leistung wurde durch einen staatlich verordneten Versöhnungsprozess gefördert. Teil dieses Prozesses ist der „Umuganda Tag“. „Umuganda“ bedeutet übersetzt „Einsatz für das Allgemeinwohl“. An jedem letzten Samstag des Monats treffen sich hierfür alle Ruander*innen, um das Land gemeinsam instand zu halten. Neben der gemeinsamen Pflege der Umgebung geht es darum, Probleme in der Gemeinschaft zu erörtern und dadurch Konflikte auszuräumen. Auch im Schulunterricht wird die kritische Auseinandersetzung mit diesem Thema beispielsweise durch Handbücher gefördert. Apollon Gahongayive zufolge, der der Autor eines solchen Handbuchs ist, muss „der kritische Geist der Schüler gefördert werden. Warum? Weil es den meisten jungen Leuten, die sich am Völkermord beteiligt haben am kritischen Denken mangelte. In allen Medien wurde ihnen immer die gleiche Propaganda eingebläut; dass es ihre Pflicht sei zu töten, und das haben sie getan ohne zu fragen warum.“
Megan Harris