Der feine Unterschied zwischen „fremdenfeindlich“ und „rassistisch“: Die Berichterstattung über Erfurt

Der feine Unterschied zwischen „fremdenfeindlich“ und „rassistisch“: Die Berichterstattung über Erfurt

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In der Nacht vom vergangenen Freitag auf Samstag schlugen zehn bis zwölf Personen drei Menschen in Erfurt von zusammen. Einer der drei Männer wurde schwer, ein anderer leicht verletzt; ersterer habe sich teilweise in einem kritischen Zustand befunden. Dennoch wurden alle festgenommenen Täter*innen noch am Wochenende entlassen.

Erst vor wenigen Wochen solidarisierten sich tausende Menschen in Erfurt in einer groß angelegten Lichter-Demonstration mit der Black-Lives-Matter-Bewegung. Foto: © Paul-Philipp Braun/meine-kirchenzeitung; www.meine-kirchenzeitung.de

Bislang benannte ich alle Beteiligten nur als „Menschen“ oder „Personen“. Die meisten Berichte sprechen jedoch bei den „Opfern“ von drei Guineern, bei den „Täter*innen“ von Deutschen, beim Ort des Geschehens von einem „Treff der rechten Szene“. Und als Tatmotivation benennen sowohl Polizei als auch Medien „Fremdenfeindlichkeit“.

Immerhin, könnte man sagen. Zu oft wurde bei ähnlichen Ereignissen von „Einzelfällen“ gesprochen, und zu oft dabei nach anderen Motiven gesucht. Schließlich ist es schwer zuzugeben, dass Deutschlands Gesellschaft mit ihrer schwerwiegenden Vergangenheit immer noch Menschen hervorbringt, die zu Extremist*innen werden und ohne viele Gründe zu brauchen ihren Frust und Hass in der Tat auf alle*s projizieren, das für sie als „fremd“ gilt.

Denn was heißt „fremdenfeindlich“? Wem steht es zu, zu behaupten, die drei Guineer seien hier nicht zu Hause? Wer sagt, dass sie hier fremd sind? Wer gibt „Rechten“ das Recht, überhaupt anhand äußerer Merkmale zu bestimmen, wer hier „fremd“ ist? Und was ist schlecht daran, fremd zu sein? Fremdheit bringt immer ein erfrischendes Potential der Selbstreflektion mit sich, so nebenbei bemerkt.

„Wer ‚Fremdenfeindlichkeit‘ sagt, übernimmt die Sicht der Täter“, zitierte Politik- und Sozialwissenschaftlerin Juliane Frisse bereits im April 2019 Ferda Ataman im Titel ihres Beitrags für „Zeit online“, und sie trifft einen wichtigen Punkt: Zwar wird nun – vielleicht auch dank der kraftvollen (BML-)Bewegung der letzten Wochen – immerhin das überaus wahrscheinliche Motiv der Täter nicht gänzlich negiert; es aber mit „Fremdenfeindlichkeit“ zu benennen, macht die drei betroffenen Menschen erst recht zu den „Fremden“, als die sie die Täter*innen wohl gesehen haben.

Der nächste Schritt wäre, es endlich einzugestehen: Genau so wie es Schwarze in Deutschland gibt, gibt es ebenso Rassismen. Es hilft nichts, sie zu verleugnen – sonst lernt unsere Gesellschaft nie, mit ihren Realitäten angemessen umzugehen.

Ein Kommentar von J. Bittermann