Der «weiße» Blick der Deutschen Afrika Stiftung auf Äthiopien

Der «weiße» Blick der Deutschen Afrika Stiftung auf Äthiopien

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Die Kritik von Seiten der äthiopischen Diaspora in Deutschland ist groß, dass Dr. Daniel Bekele mit dem Deutschen Afrika Preis 2021 ausgezeichnet wurde © Varavour (by Wikimedia Creative Commons)
Die Kritik von Seiten der äthiopischen Diaspora in Deutschland ist groß, dass Dr. Daniel Bekele mit dem Deutschen Afrika Preis 2021 ausgezeichnet wurde © Varavour (by Wikimedia Creative Commons)

Mit der Vergabe des Deutschen Afrika-Preises 2021 an Dr. Daniel Bekele, Direktor der äthiopischen Menschenrechtskommission (EHRC), sorgt die Deutsche Afrika Stiftung (DAS) für Bestürzung bei einem Großteil der äthiopischen Diaspora in Deutschland. Dieser Entscheid spaltet die bereits nach ethnischer Linie tief gespaltene Gruppe weiter. Welche Kritik liegt dem zugrunde?

Bereits als junger Anwalt begann sich Dr. Daniel Bekele, in Addis Abeba für NGOs und Anliegen rund um Menschenrechte und die Zivilgesellschaft einzusetzen. In der Folge der Wahlen in Äthiopien 2005 wurde er bei Protesten gegen Wahlbetrug verhaftet und verbüßte daraufhin mehr als zwei Jahre im Gefängnis. Heute, 15 Jahre später, amtet er als Leiter der äthiopischen Menschenrechtskommission (EHRC) und wird von der DAS für sein Lebenswerk ausgezeichnet. Während er von den einen geehrt wird, sehen die Anderen in ihm ein Werkzeug der staatlichen Propaganda. Insbesondere im Rahmen des laufenden Kriegs gegen Tigray wird ihm vorgeworfen, einen laufenden Völkermord zu ignorieren.

Ethnischen Unruhen und der EHRC – Eine Kette von Versäumnissen

Die EHRC steht nicht erst seit dem Beginn des Krieges gegen Tigray im November 2020 in der Kritik, nicht ausreichend über Menschenrechtsverletzungen zu berichten. Beispiele sind die zunehmende Zahl von Morden an regierungskritischen Personen in Äthiopien. Dies betraf Menschen verschiedener ethnischer Gruppen, wie Ambachew Mekonnen, Präsident der Region Amhara, und zwei hochrangige regionale Beamte, General Seare Mekonnen, Stabschef der äthiopischen Armee, der pensionierte Generalmajor Gezai Abera, sowie Bekele Bidra, der Leiter des Büros der Oromo-Befreiungsfront. Auch ethnische Konflikte und Massaker in verschiedenen Teilen Äthiopiens wie in Benishangul-Gumuz, Amhara, Oromia und im Süden des Landes wurden nicht umgehend und gründlich untersucht. Starke Kritik in Form von Protesten erntete die EHRC nach der Ermordung von Hachalu Hundessa, einem beliebten Oromo-Sänger und Aktivisten. Aufgrund des harten Vorgehens der Polizei kam es zu mindestens 177 Toten und Hunderten von Verletzten. Dem EHRC werden fehlende Bemühungen aufgrund der Nähe zur Regierung vorgeworfen. Bis heute hat sich das EHRC zu keinem Fall dieser Serie von Attentaten öffentlich geäussert. Ein Bericht von Amnesty International – notabene Dr. Daniel Bekeles früherer Arbeitgeber – resümiert, dass die EHRC nicht unabhängig von Regierungsinteressen agiert, Standards bei der Untersuchung von Menschenrechtsverletzungen nicht einhält und Opfern den Zugang zu wirksamen Rechtsmitteln verwehrt.

Strukturelle Abhängigkeit als Ursache von Parteilichkeit

Die von vielen Äthiopiern wahrgenommene Befangenheit des EHRC stammt von ihrer strukturellen Abhängigkeit von der Regierung. Ihre finanziellen Mittel hängen von der staatlichen Finanzierung ab und der Direktor wird vom Parlament ernannt. Zudem untersteht die EHRC dem Haus der Volksvertreter. Diese Abhängigkeit schürt die Annahme, dass die EHRC bei Verstößen gegen die Menschenrechte beeinflusst wird und Verstösse nur selektiv untersucht.

Selektive Berichterstattungen tauchen vermehrt auf

Seit Beginn des Kriegs gegen Tigray im November 2020 sind zahlreiche Berichte über Massaker an der Zivilbevölkerung, der systematische Einsatz sexueller Gewalt, die Zerstörung von Ernten, Vieh und Infrastrukturen sowie die bewusste Blockade überlebenswichtiger Hilfslieferungen, um betroffene Bevölkerungsgruppen aushungern zu lassen, entstanden. Die Verfasser reichen von internationalen Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International und Human Rights Watch, über internationale Medien wie CNN und BBC zu diversen UNO Organisationen. Trotz der Menge an Hinweisen für Menschenrechtsverletzungen in Tigray, und trotz ihrer grossen internationalen Resonanz führte die EHRC relativ wenige Untersuchungen durch. Bei den erfolgten Untersuchungen hingegen häuften sich die Vorwürfe gegen die EHRC und Daniel Bekele, dass die Berichterstattungen selektiv sind und sich auf Fälle konzentrieren, die die Darstellung der Regierung stützen. Mit ihrer Kommunikation und ihrem Handeln während des Kriegs gegen Tigray bisher bestätigte die EHRC unter Dr. Daniel Bekele oben genannte Befürchtungen.

Tigrayer befürchten Voreingenommenheit

Vor allem mit Hinblick auf den persönlichen Hintergrund von Dr. Daniel Bekele wird eine Voreingenommenheit gegenüber Tigrayern befürchtet. Aufgrund des aktuell stark polarisierten Umfelds in Äthiopien, werden die politische Partei der Volksbefreiungsfront von Tigray (TPLF) und die tigrayische Bevölkerung als kollektives Individuum betrachtet. Viele Tigrayer fürchten daher weitere Repressalien, sowie das «Whitewashing» von schweren Menschenrechtsverletzungen.

Kontroverse Äußerungen vergrößerten das Misstrauen

Mit der Äußerung des EHRC-Direktors, dass es beruhigend sei zu erfahren, dass die Operation nicht so schwerwiegende Folgen hatte, wie ursprünglich befürchtet, hat sich das Misstrauen weiter zugespitzt. Diese Aussage wurde, vor allem bei Tigrayern, als das Herunterspielen der schweren Menschenrechtsverletzungen in Tigray empfunden. In einem Interview beschuldigte Direktor Daniel Bekele, einige der Flüchtlinge im Sudan, Täter des Mai-Kadra-Massakers zu sein, und sagte, man müsse mit ihren Aussagen vorsichtig sein. Die Wortwahl des Direktors deckt sich mit dem, was der Ministerpräsident Abiy Ahmed auch schon zuvor dem Parlament sagte.

Während des Tigray-Konflikts war das Handeln der EHRC erratisch. Bei Hinweisen auf ein Massaker in der tigrayischen Stadt Maikadra dauerte es nur wenige Tage, bis die EHRC ein Team zur Untersuchung schickte und nur eine Woche bis zur Veröffentlichung eines vorläufigen Berichts. Die voreiligen Schlüsse, welche tigrayischen Kämpfern die alleinige Verantwortung zuschreiben und Amharas als die einzigen Opfer darstellen stehen zahlreichen in der internationalen Presse veröffentlichten Zeugenaussagen von tigrayischen Flüchtlingen im Sudan gegenüber, wonach Amhara-Milizen für das Massaker in Maikadra verantwortlich sind. Der Bericht wurde seit der Erscheinung nicht ergänzt.

Beim Massaker in Aksum hingegen reagierte die EHRC erst vier Monate nach dem Vorfall und, bezeichnenderweise, nachdem Amnesty International eine eigene Untersuchung publiziert hatte. Nur einen Tag nachdem Ministerpräsident Abiy Ahmed zum ersten Mal öffentlich zugegeben hat, dass eritreische Streitkräfte sich tatsächlich in Tigray aufhielten, was zuvor monatelang geleugnet wurde, präsentierte die EHRC in ihrem Bericht, dass ausschliesslich eritreische Soldaten für das Massaker verantwortlich seien.

Unvollständige Untersuchungen zu Menschenrechtsverletzungen

In den weiteren bisherigen Berichten der EHRC werden die ethnischen Säuberungsaktionen gegen Tigrayer, wie zum Beispiel in West-Tigray, nicht erwähnt. Das Ausmaß der sexuellen Gewalt gegen Frauen und Mädchen wird heruntergespielt. Die vorsätzliche Ansteckung von Frauen und Mädchen mit HIV/AIDS und anderen Geschlechtskrankheiten durch die äthiopischen- und eritreischen Streitkräfte sowie die Amhara-Truppen und -Milizen wird nicht erwähnt. Der Umfang der vom Krieg betroffenen Zivilbevölkerung wird weiterhin heruntergespielt. Die gemeinsame Untersuchung des EHRC mit dem Hochkommissariat für Menschenrechte der Vereinten Nationen wurde gemeinhin als unvollständig betrachtet. Dies weil Axum und viele andere wichtige Orte, in denen von Menschenrechtsverletzungen und Massakern berichtet wurde, für die Untersuchung nicht zugänglich waren. Darüber hinaus erstreckte sich die Untersuchung auch nicht auf den Sudan, in dem sich 60,000 tigrayische Flüchtlinge befinden.

Fehlende Weitsicht der DAS

Die DAS sieht sich als Dialogpartner und als Förderer der deutsch-afrikanischen Beziehungen. Mit der Preisvergabe möchten sie Erreichtes ehren und Zukünftiges stärken. Ihre Preisvergabe 2021 an einen Äthiopier fällt in eine Zeit großer Krise für das Land. Tiefe ethnische Spannungen, ein Krieg auf eigenem Boden mit Beteiligung zahlreicher Akteure und zahlreiche Brandherde im ganzen Land prägen das Bild. Aufgrund der zahlreichen politischen Instabilitäten befindet sich Äthiopien heute an einem kritischen Scheideweg. In einer solchen Situation ist von vielen Akteuren Weitsicht und Masshaltung gefragt.

Angesichts der aktuellen Situation in Äthiopien ist die Entscheidung der DAS, den Deutschen Afrika-Preis zu diesem Zeitpunkt an Dr. Daniel Bekele zu verleihen, fragwürdig. Sie billigt damit den bisherigen Kurs der EHRC unter Dr. Daniel Bekele. Die Auszeichnung verleiht Dr. Daniel Bekele und seiner Behörde inmitten der höchst komplexen Lage mit unzähligen Vorwürfen von Menschenrechtsverletzungen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit eine gefährliche Legitimation. Es ist naheliegend zu befürchten, dass sich dies kontraproduktiv für die Aussöhnung und Friedensbildung in Äthiopien auswirken kann. Es gibt zahlreiche Kandidaten, die die Kriterien für den Deutschen Afrika Preis angemessen erfüllen. Daniel Bekele ist, im Moment, keiner von ihnen mehr.

Text von Segen Woldeyesus