Die Kunst Vergangenheit gegenwärtig zu repräsentieren
Beim Betrachten der Bildnisse des diesjährigen Künstlers des Jahres erfährt das Publikum eine Reise in die Vergangenheit zur Zeit der Apartheid in Südafrika. Gleichzeitig spiegeln die Kunstwerke die immer noch teils unveränderte gegenwärtige Realität wieder. Die Kunsthalle der Deutschen Bank präsentiert eine Ausstellung, die alle Hüllen und Tabus fallen lässt.
Der Titel „Künstler des Jahres 2017“, ausgewählt von der Deutschen Bank, geht dieses Jahr an den Künstler Kemang Wa Lehulere aus Südafrika. Seine beeindruckende Arbeit über die eigenen persönlichen Gefühle und Interpretationen von der Zeit der Apartheid in Südafrika ist noch bis zum 18. Juni 2017 zu besichtigen. Die aktuelle und zuvor noch nicht präsentierte Ausstellung „Bird Song“ kann in der Kunsthalle der Deutschen Bank bewundert werden. Seine ganze Leidenschaft, der Schmerz der Apartheid- Generation und seine persönliche Überzeugung spiegeln sich in seinen Kunstwerken wider. Beim Betreten der Halle werden die Besucher_innen in die Energie und die unverblümte Wahrheit eingesogen, die Kemangs Arbeit transportiert. Die Ausstellung wird begleitet von dem stetig widerkehrenden Symbol des Vogels. Dieser verkörpert auf der einen Seite ersehnte oder erkämpfte Freiheit und im nächsten Moment wird genau diese Unabhängigkeit wieder unterdrückt und zum Verstummen gebracht.

Kemangs Inspiration basiert auf den Kunstwerken von Gladys Mgudlandlu, einer Künstlerin zu Zeiten der Apartheid in Südafrika. Die Intention der neuen Ausstellung bezieht sich auf das Emblem des Vogels, welcher als ständiger Charakter in Mgudlandlus Werken auftaucht. Dieser soll die Besucher_innen auf seine Bedeutsamkeit aufmerksam machen, an ihn erinnern und auf gewisse Weise den Vogel der Öffentlichkeit präsentieren und befreien. Die Vielfältigkeit seiner Arbeit umfasst nicht nur Gemälde oder Bilder, sondern vor allem abstraktes und visuelles Kunsthandwerk.
Für eines seiner bedeutendsten Expressionen benutzt Kemang als Material alte Holzkrücken, Bibeln der Xhosa oder seinen eigenen Gipskieferabdruck. Jede einzelne Krücke stellt einen Flügel dar, wobei die Bibeln vom Gebiss umklammert werden. Beim Blick durch den Ausstellungsraum wirkt der enorme und beeindruckende Vogel „Broken Wing“ mit dem gebrochenen Flügel traurig und bedrohlich zugleich. Die eingesperrten Xhosa-Bibeln verkörpern das Element der Unterdrückung während der Apartheid. Es ist die Absicht des Künstlers mit den Werken seines Idols Mgudlandlu in Dialog zu treten und ihr mit seiner persönlichen Interpretation zu antworten. Widmungen und persönliche Inschriften sind noch deutlichen auf den Schulbänken zu sehen, die Kemang für sein „Vogelhaus-Projekt“ verwendet. Neben dem Schutz den das Vogelhaus bietet, bedeutet es gleichermaßen eingesperrt zu sein und zieht eine Linie zur kritischen Betrachtung der Bildung während des Kolonialismus.

Eine weiße Wand wird von Aufnahmen eines nackten Rückens durch einen Beamer beleuchtet. Auf dem Rücken befindet sich in us-amerikanischer Gebärdensprache die Worte: „I have words, I want you to know“. Kemang Wa Lehulere schreckt mit seiner kollektiven Ausstellung nicht davor zurück, sein Publikum mit entgegenschlagender Direktheit zu berühren oder gar Scham empfinden zu lassen. An einer schwarzen Wand hat er ebenfalls mit derselben Gebärdensprache „Mother said every song knows it‘s home“ eingekerbt. Auf dem Boden liegen zerbrochene und abgebröckelte Steine, die von der Inschrift in der Wand runter gefallen sind. Die Zeichensprache symbolisiert das Schweigen über die Geschichte der Apartheid und dient gleichzeitig als eine andere Form von Sprache. Die verletzte Wand und ihre zerstörten Einzelteile auf dem Boden charakterisieren das, was von der Stille übrig geblieben ist.
Das Finale bildet seine Darstellung des „Bird Song“, das den Titel zur Ausstellung begründet.
Mit kahl rasiertem Kopf steht Kemang neben seinem Werk und blickt herausfordernd in die Menge der Zuhörer_innen.

Beim genaueren hinsehen wird erkennbar, dass er für sein Abbild genau zwei Materialen benutzt hat. Seine eigenen Haare hat er als Noten, Taktstriche und Notenschlüssel geformt und geklebt. Das Notensystem besteht aus Bleistiftlinien. „Das Afro-Haar soll ein Zeichen des Widerstands darstellen. Haare dienten zur Zeit der Apartheid als eine Methode die Menschen voneinander zu unterscheiden und zu trennen. In Schulen wurde regelmäßig ein Bleistifttest durchgeführt. Es wurde ein Bleistift in die Haare gesteckt, fiel er raus war man Weiß. Blieb er stecken, galt man als Schwarz. So rasierten viele ihre Haare als Zeichen des Widerstands, um als Person wahrgenommen zu werden, nicht als Objekt,“ offenbart Kemang gegenüber seinem Publikum. Seine Motivation ist, die Leute daran zu erinnern, welche Verbrechen während der Apartheid passiert sind. Jedoch sendet seine Kunst auch ein Appell, dass auch in der Gegenwart zu oft Diskriminierung stattfindet und toleriert wird.
Jana Hansen