„Eine unvollständige Geschichte.“ Chimamanda Ngozi Adichies Rede zur Eröffnung des Humboldt Forums

„Eine unvollständige Geschichte.“ Chimamanda Ngozi Adichies Rede zur Eröffnung des Humboldt Forums

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Schriftstellerin Chimamanda Ngozi Adichie. © Stiftung Humboldt Forum im Berliner Schloss / David von Becker
Schriftstellerin Chimamanda Ngozi Adichie. © Stiftung Humboldt Forum im Berliner Schloss / David von Becker

Die nigerianische Schriftstellerin Chimamanda Ngozi Adichie war neben Bundespräsident Frank-Walter-Steinmeier und Bundeskulturministerin Monika Grütters eingeladen, die zeremoniale Gastrede bei der Eröffnung des Humboldt Forums zu halten.

Das Humboldt Forum ist seit Jahren Gegenstand großer öffentlicher Auseinandersetzungen zu dem Umgang Europas mit der eigenen kolonialen Vergangenheit. Nun wurden am Mittwoch, den 22. September, die Ausstellungsräume im rekonstruierten preußischen Stadtschloß eröffnet. In ihrer Rede fand Adichie einerseits offene und zukunftsgewandte Worte zur Rolle von Erinnerungen und kulturübergreifendem Dialog, andererseits übte sie deutliche Kritik an den weithin bestehenden globalen Machtbeziehungen, die gerade im musealen Kontexten sichtbar werden.

„Wir versammeln uns heute in diesem rekonstruierten Palast, einem Ort mit Schönheit, aber auch einem Ort, der die Nostalgie von Deutschland nach imperialen Zeiten widerspiegelt.“ so Adichie.

„Das Humboldt Forum wurde als Ort konzipiert, die universale Geschichte der Menschheit aus vielfältigien Perspektiven zu erzählen. Das ist eine anerkennenswerte Idee. Doch sie ist unvollständig. Denn, wiedermals, müssen wir uns mit der Frage nach Macht auseinandersetzen. Wer erzählt die Geschichte? Wer ist der*die Erzähler*in und wer der*die Erzählte? Wer hat entschieden, dass afrikanische Kunst als ‚Ethnologisch‘ markiert wird? Wer hat das Recht das ‚Andere‘ auszustellen?“

Für die vielfachen Kunst- und Kulturgütern, die während der Kolonialzeit auf gewaltvollen Wegen nach Europa gekommen sind, findet Adichie eine klare Antwort: „Eine Nation, die an rechtsstaatliche Prinzipien glaubt, kann unmöglich darüber debattieren, ob geraubte Güter zurückgegeben werden sollten. Sie gibt die Güter schlichtweg zurück.“ Sie fordert: „Jetzt ist die Zeit für Courage. Die Courage, nicht bloß zu sagen ‚wir nehmen eure Kritik an‘, sondern ihr auch Taten folgen zu lassen. Die Courage zu sagen ‚wir lagen falsch.‘ Die Courage über erworbene Kunst zu sagen ‚dies gehört uns nicht, sagt uns was wir damit machen sollen.‘“

Als ein positives Beispiel diskutiert Adichie den Schritt des Kulturstaatsministeriums, erste Anteile der Benin-Bronzen an Nigeria zu rekonstituieren: „Ich muss anerkennen, dass Deutschland das erste der machtvollen europäischen Nationen ist, die eine Geste gemacht hat, hinsichtlicher der Rückgabe der Benin-Bronzen. Es war jedoch auch interessant, wie es in der Ankündigung hieß, ein substanzieller Anteil würde bestimmt werden. Dies ließ mich wundern, auf welche Weise diese Menge bestimmt wird und durch wen. Und es ist ebenfalls interessant, dass es britisch-koloniales Raubgut ist, welches von Deutschland zurückgegeben wurde. […] Nichtsdestotrotz, es ist ein Fortschritt. Und Deutschlands Schritte, seine Gesten, jenes wiedergutzumachen was unrechtens war, müssen anerkannt werden.“

Adichie fordert weiter, dass der Zugang zu globalen Debatten endlich erleichtert werden muss: „Diese Rhetorik eines freien Austauschen von Ideen muss praktikabel sein. Und damit meine ich solche Dinge wie Reisevisa. Es muss für Menschen aus Afrika, Asien und Lateinamerika, die in diesen Debatten partizipieren sollen, einfach sein, Reisevisa zu erhalten.“ Immer wieder kritisieren in den letzten Jahren Künstler*innen und Wissenschaftler*innen aus Afrika, dass selbst für ihre eigenen Konzerte oder Konferenzen die Anreise nach Europa oder Nordamerika verwehrt wird.

Zum Abschluß zeigt sich Chimamanda Ngozi Adichie zuversichtlich: „Man kann nur hoffen, dass das Humboldt Forum seinem Namen gerecht wird, als ein Raum für einen wahrhaftigen interkulturellen und transkulturellen Austausch von Ideen in gegenseitigem Respekt zwischen den Kulturen.“ Eine Einladung an die europäischen Institutionen und politisch Verantwortlichen mutige Schritte in der Restitutionsdebatte zu gehen.

Wenn ihr Adichies Rede in voller Länge sehen möchtet, ist sie hier im Netz zu hören: (Ab Minute 53:00)

Text: Martin Roggenbuck