Identität oder Zugehörigkeit

Identität oder Zugehörigkeit

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Nur noch wenige Tage ist unsere Sommer-Ausgabe zum Thema „Homosexualität in Afrika“ im Handel. Als wir uns entschlossen, dieses vielseitige und durchaus auch in vielerlei Hinsicht brisante Thema anzugehen, meldete sich eine Person aus unserem Autor*innenkreis, die gerne ihre eigenen Erfahrungen mit unseren Leser*innen teilen möchte. Diese wertvollen Ansichten und Einblicke darüber, womit sich sogenannte „transsexuelle“ oder auch „transidente“ Personen konfrontiert sehen, wollen wir Ihnen nicht vorenthalten. Bitte gehen Sie damit so respektvoll um, wie es den persönlichen Erfahrungen von Menschen gebührt.

Der Körper alleine bestimmt nicht, als wer oder wie wir leben! Der*die auf den Fotos zu sehende Freudenreich teilt mit uns ihre*seine Sicht und seine persönlichen Fotos, um das verstehbar zu machen. ©Freudenreich

Liebe Leser*innen, für viele von Ihnen werden die in diesem Artikel angesprochenen Thematiken schwer gedanklich nachzuvollziehen, geschweige denn in Ihrem Leben spürbar sein. Noch schwieriger ist es bestimmt, sich vorzustellen, wie es ist, so zu handeln.

Was ist sexuelle Identität? Was ist der Unterschied zwischen sexueller Orientierung und sexueller Identität?

Die sexuelle Identität sagt aus, wer wir bezüglich des Geschlechts und des sexuellen Erlebens sind, d.h. wie wir uns selbst sehen und wie wir von anderen Personen wahrgenommen werden (wollen). Sie setzt sich aus vier verschiedenen Teilen zusammen:

  • dem sogenannten „biologischen“ Geschlecht, das durch das körperliche Vorhandensein von weiblichen oder männlichen inneren und äußeren Geschlechtsmerkmalen bestimmt wird;
  • dem psychischen Geschlecht, die auch Geschlechtsidentität genannt wird und die innere Überzeugung (das Gefühl) eines jeden Menschen meint, weiblich, männlich oder beides zu sein.
  • dem sozialen Geschlecht: Dieses beinhaltet je nach Kultur und Gesellschaft unterschiedliche Werte und Vorstellungen davon, wie sich ein Junge/Mann oder ein Mädchen/eine Frau verhalten soll (z.B. Kleider, Haarschnitt, Spielsachen, Körpersprache etc.).
  • das Begehren oder die sogenannte sexuelle Orientierung: Damit ist gemeint, ob man sich von Frauen, Männern oder beiden Geschlechtern sexuell angezogen fühlt.

 

Zur Bildung Deiner eigenen, individuellen sexuellen Identität tragen bei jeder Person, wie Du siehst, verschiedene Einflüsse bei, wie Geschlecht, Herkunft, Sexualität, Alter, Erziehung und noch viele weitere Dinge. Die sexuelle Identität, das soziale Geschlecht und die sexuelle Orientierung sind keine festgeschriebenen Programme, sondern können sich im Laufe eines Lebens verändern.

Schon im Kindesalter spürbar

Wer transsexuell ist, spürt das in der Regel früh in seinem Leben. Schon als Vorschulkinder empfinden viele Transsexuelle das schwer zu artikulierende Gefühl, dass „etwas nicht mit ihnen stimmt“. Meistens bedeutet das eigentlich „nur“, dass sie sich dem anderen Geschlecht zugehörig fühlen.

Mädchen tragen Kleider, Jungs haben kurze Haare? So eindeutig ist das längst nicht mehr, und wir haben es in der Hand, Menschen offen anzunehmen, wer immer sie sein wollen. ©Freudenreich
Mädchen tragen Kleider, Jungs haben kurze Haare? So eindeutig ist das längst nicht mehr, und wir haben es in der Hand, Menschen offen anzunehmen, wer immer sie sein wollen. ©Freudenreich

Während Kindern zugestanden wird, dass sie zum Beispiel im Spiel auch manchmal geschlechtsuntypisches Verhalten üben, werden die Probleme häufig mit dem Beginn der Pubertät größer. Die gesellschaftlichen Erwartungen, wie man als Junge oder Mädchen auszusehen und sich zu verhalten hat, nehmen zu. Zudem führt die Ausbildung der Geschlechtsorgane oft zu einer Verstärkung des Gefühls, auf ein Geschlecht festgelegt zu werden, das nicht dem eigenen Empfinden entspricht.

 

Die Ursachen liegen im Dunkeln

Die meisten Mediziner und Psychologen sehen Transsexualität als Störung der Geschlechtsidentität. Manche Wissenschaftler gehen davon aus, dass der Fötus im Mutterleib durch gegengeschlechtliche Hormone beeinflusst wird, andere sehen neurologische Veränderungen als Auslöser. Auch soziale und psychodynamische Faktoren sollen eine Rolle spielen; etwa dann, wenn Eltern lieber ein Kind des anderen Geschlechts gehabt hätten und dies das Kind bewusst oder unbewusst spüren lassen.

Hinreichend belegt ist keine dieser Thesen, die Ursachen für Transsexualität liegen weiterhin im Dunkeln.

Wie viele Transsexuelle es im Vergleich zum Rest der Bevölkerung gibt, ist ebenfalls unklar. Manche Statistiken gehen davon aus, dass auf 30.000 Personen ein*e Transsexuelle*r kommt, andere gehen von weitaus niedrigeren (4500) oder höheren (100.000) Werten aus. Laut Deutscher Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität sind 0,25 Prozent aller geborenen Kinder transsexuell.

Transsexualität sagt jedoch nichts über die sexuelle Orientierung aus: Es gibt heterosexuelle, homosexuelle und bisexuelle Transsexuelle. Tatsächlich lehnen viele Betroffene den Begriff der Transsexualität ab, da ihrer Ansicht nach nicht die Sexualität, sondern die Identität im Zentrum steht. Stattdessen bezeichnen sie sich als „transident“.

Schwierige Phase der Pubertät

Die Pubertät ist bei den meisten Transsexuellen der Auslöser großer Probleme. Durch die Ausprägung körperlicher Merkmale wie Brüsten oder Bartwuchs, die allgemein sichtbar sind, steigt der Leidensdruck, und es verstärkt sich das Gefühl, den eigenen Körper nicht akzeptieren zu können.

In der Regel ist dabei die äußere Situation für Männer, die sich als Frauen fühlen, noch schwieriger. Frauen, die sich durch Kleidung oder Haarschnitt maskulin geben, werden gesellschaftlich viel eher akzeptiert als feminine Männer.

Wie die Betroffenen mit dieser einschneidenden Lebensphase umgehen, ist unterschiedlich. Sie sollten dabei aber auf keinen Fall allein gelassen werden, sondern Unterstützung von den Eltern und einer*m guten Therapeut*in bekommen.

In manchen Fällen stellt sich während der Therapie heraus, dass das Gefühl, im falschen Geschlecht zu leben, verschwindet und die Akzeptanz des eigenen Körpers steigt. Die vermutete Transsexualität war eine vorübergehende Phase.

Wenn dies aber nicht der Fall ist, sind die Probleme oft noch größer als vorher. Denn die Veränderungen, die der Körper in der Pubertät macht, sind oft nur schwer oder auch gar nicht mehr rückgängig zu machen.

Geschlechtsangleichung

Aus diesem Grund gehen immer mehr Mediziner*innen dazu über, nach eingehenden psychologischen Tests eine Hormonbehandlung zu verschreiben, die den Beginn der Pubertät unterdrückt. Bleibt der Wunsch, im anderen Geschlecht zu leben, bestehen, kann nach einer gewissen Zeit eine weitere Behandlung mit den Hormonen des Wunschgeschlechts durchgeführt werden.

Bei Jungen wird durch Östrogene der Stimmbruch verhindert und das Wachstum der Brüste angeregt, Mädchen wächst dank Testosteron-Behandlung ein Bart, die Stimme wird tiefer, die Brust bleibt flach.

Dank der Fortschritte in der plastischen Chirurgie gibt es heute eine Möglichkeit, von der Transsexuelle jahrtausendelang nur träumen konnten: eine Operation der Geschlechtsorgane. Der Begriff „Geschlechtsumwandlung“ wird heute nicht mehr verwendet, da das (biologische) Geschlecht durch die Chromosomen vorgegeben ist und nicht verändert werden kann. Stattdessen spricht man von einer „geschlechtsangleichenden“ Operation. Männer, die sich als Frauen fühlen, haben es hier leichter, da sich eine Vagina einfacher modellieren lässt als ein Penis. Allerdings sind beide Operationen schwere Eingriffe, die mit einem gewissen Risiko verbunden sind. Auch warnen Ärzte vor zu hohen Erwartungen: Patient*innen müssen immer damit rechnen, dass ihr biologisches Geschlecht auch nach der OP „durchschimmert“.

Längst nicht alle Transsexuelle lassen eine Geschlechtsangleichung durchführen. Schätzungen gehen davon aus, dass die Quote unter 50 Prozent liegt. Besonders Transmänner schrecken oft vor der komplizierten und folgenreichen Operation zurück.

Akzeptanz in der Gesellschaft

Transsexuelle erleben häufig Diskriminierungen, werden gewalttätig angegangen oder ausgegrenzt. Ihre Lebensweise ruft bei manchen Mitmenschen Unverständnis hervor, gleichzeitig stehen sie nahezu immer im Mittelpunkt des Interesses, werden heimlich oder offen beobachtet und sind Gesprächsthema bei den Nachbar*innen, in Freizeit und Beruf.

Dazu kommt die offizielle Einschätzung als „Krankheit“: Transsexuelle empfinden sich selbst als anders, aber nicht als krank. Tatsächlich ist man aber gezwungen, diese Zuschreibung zumindest indirekt zu akzeptieren, wenn man von den Krankenkassen eine Behandlung finanziert bekommt.

Andererseits hat sich das Leben für Transsexuelle im Gegensatz zu früher deutlich verbessert. Viele Transsexuelle können offen ihre Solidarität zeigen, es gibt Vereinigungen, Selbsthilfegruppen und Beratungsstellen, eigene Medien und Online-Foren.

Prominente Transsexuelle wie Sängerin Lorielle London, „Matrix“-Regisseurin Lana Wachowski oder der ehemalige Stabhochspringer und heutige Autor und Coach Balian Buschbaum tragen dazu bei, dass Transsexualität zunehmend als normaler empfunden wird.

Auch rechtlich ist es für Transsexuelle inzwischen leichter geworden, zu ihrem gefühlten Geschlecht zu wechseln und beispielsweise den Namen oder Personenstand zu ändern.

 

 

Freudenreich