Kommentar: Wie der falsche Gebärdensprachler dennoch in die passende Richtung wies

Kommentar: Wie der falsche Gebärdensprachler dennoch in die passende Richtung wies

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Der vierfache Familienvater arbeitete bis 2011 als Gerichtsdolmetscher, u.a. für Englisch-IsiXhosa, am Amtsgericht der Stadt Boksburg, allerdings nicht für Gebärdensprache. Die Arbeit für das Gericht endete, als er sich wegen einer psychischen Erkrankung für einen unbekannten Zeitraum stationär behandeln ließ. Zuletzt soll er bei der Übersetzungsfirma South African Interpreters angestellt gewesen sein, die dem Parteiverantwortlichen für religiöse und traditionelle Angelegenheiten des African National Congress (ANC) gehört. Nach Auskunft des Firmenbesitzers wurde er jedoch aufgrund seiner Krankheit dort seit Jahren nicht mehr als Dolmetscher beschäftigt, sondern arbeitete als Verwaltungsangestellter und Vermittler.

Unklar bleibt wie Jantjie über Jahre hinweg sein Geld bei Veranstaltungen der Regierungspartei ANC als Dolmetscher für Gebärdensprache verdienen konnte. Der ANC Pressesprecher Jackson Mthembu gab am 12.12. in einer Presseerklärung bekannt, dass Thamsanqa Jantjie bei Großveranstaltungen, wie der 100-Jahr-Feier des ANC im Januar 2012 und dem Wahlparteitag im Dezember 2012 gearbeitet habe. Der ANC wurde dabei nicht auf Kritik an Jantjies Übersetzerleistungen aufmerksam und wusste nichts von seinem Gesundheitszustand. Ob Jantjie selbst ANC-Mitglied ist, ist offiziell nicht bekannt.

Nachdem Journalisten seine Identität aufdeckten, gab Jantjie in den folgenden Tagen mehrere Interviews (u.a. mit der Johannesburger Zeitung „the Star“), in denen er sich mit unterschiedlichen, teilweise bizarren Erklärungen gegen die heftige Kritik an seiner Leistung als Gebärdendolmetscher verteidigte. Er meinte, er leide seit mehreren Jahren an Schizophrenie, weswegen er auch Medikamente nehmen müsse, und habe einen plötzlichen Anfall erlitten, während er auf der Bühne des Stadions stand. Dabei habe er die Konzentration verloren, ihm seien Engel erschienen, die ins Stadion und auf die Bühne gekommen seien, und er habe Stimmen gehört. Er habe versucht, nicht in Panik zu geraten, da er von bewaffneten Sicherheitsleuten umgeben gewesen sei. Auch aufgrund der historischen Bedeutung der Veranstaltung habe er es nicht gewagt, die Bühne zu verlassen. Die Situation sei für ihn sehr gefährlich gewesen. Bei früheren Schizophrenie-Attacken sei er schon oft gewalttätig geworden. Mittlerweile bezichtigen ihn diverse Zeitungen für schwerwiegende Verbrechen in seiner Vergangenheit verantwortlich gewesen zu sein.

Natürlich ist eine offizielle Entschuldigung der südafrikanischen Seite angebracht gewesen, vor allem in Richtung der Menschen, die auf einen Gebärdendolmetscher angewiesen waren. Doch machte uns der gefakte Gebärdensprachler nicht auf den Umstand aufmerksam, dass die vielerorts vergossenen Krokodilstränen nichts weiter waren als Jantjies Übersetzungen selbst; nämlich Unfug!? Sein Auftritt könnte allgemeinhin als Sinnbild für die paradoxen Beziehungen zwischen dem südafrikanischen Freiheitskämpfer und  einigen Ländervertertern dieser Veranstaltung stehen. Rückblickend lässt sich fragen, welche Gründe Konservative aus Politik und Wirtschaft europäischer Ländern oder den USA haben, um Mandela zu trauern?

Der Apartheidsicherheitsapparat benutzte den allradgetriebenen Kleinlastkraftwagen und Geräteträger Unimog der Marke Mercedes-Benz als militärisches Vehikel, um Demonstrationen gewaltsam aufzulösen. Ironischerweise schenkten die Verantwortlichen der südafrikanischen Mercedes-Benz Niederlassung in East London Mandela eine rote W-126 S-Klasse wenige Tage nach seiner Freilassung. Das Bush Jr., Clinton und Obama samt Gefolge an der Johannesburger Trauerfeier teilnahmen, soll vielleicht die eigenen Verwicklungen in die südafrikanische Apartheidsgeschichte kaschieren. Der ehemalige amerikanische Präsident Ronald Reagan sprach sich einst gegen die Freilassung des „schwarzen Terroristen“ Mandela aus. Aus einem Online-Beitrag des US-Magazin „Newsweek“ vom Kolumnisten und Blogger Jeff Stein vom 05.12.2013 geht hervor, dass der CIA Agent Millard Shirley 1962 den Aufenthaltsort Mandelas und seiner Mitstreiter für die Apartheid-Geheimpolizei überhaupt erst gefunden hatte. Dadurch sei es erst ermöglicht worden, dass Nelson Mandela am 5. August 1962 zusammen mit Cecil Williams während einer Autofahrt nahe Howick in Natal verhaftet wurde. Und das alles zu Präsidentschaftszeiten des schönen John F. Kennedy!

Konservative Politiker im Westen taten sich lange Zeit schwer mit der Gleichberechtigung der Schwarzen in Südafrika, vor allem mit deren bekanntestem Verfechter. Der ehemalige bayerische Ministerpräsident und mehrfache Bundesminister Franz Josef Strauß ist so ein Beispiel, denn er begeisterte sich für die Rassentrennung und sprach sich gegen die „ungerechte Behandlung“ des Apartheidregimes aus, berichtete Spiegel-Journalist Jürgen Leinemann später. In den Sechzigern lobte selbst der liberale Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher die „hohe religiöse und moralische Verantwortlichkeit“ der politischen Führung Südafrikas. Zu letzt muss noch Margaret Thatcher erwähnt werden, dann höre ich auf – versprochen. Die britische Premierministerin von 1979-1990 beschrieb den ANC als „a typical terrorist organisation“. Nicht ganz zufällig, unterhielt ihr Eheman Denis Thatcher einige Business Kontakte mit Verantwortlichen des Apartheidstaates. Gemeinsam haben zumindest Reagan, Srauß und die Thatchers, dass sie sich nicht mehr von Nelson Mandela verabschieden mussten, da alle schon früher das Zeitliche segneten.

Ihre Amtsnachfolger sind natürlich eingesprungen. Sprachen ihren Respekt und alles weitere, was sie eben sagen mussten, über Kameras, Briefe oder live während der Trauerfeier aus. Sicherlich können die heutigen politischen Führungen oder Konzernbosse nichts mehr für die Vergehen ihrer Vorgänger. Allerdings blieb eine wahrhaftige Reflektion über die eigene Verstrickung vieler nördlicher Länder mit dem Apartheidregime bislang aus. So wirkt die ein oder andere Anteilnahme auch eher „politisch korrekt“, als glaubhaft. Insofern ist die Art und Weise wie Thamsanqa Jantjie die Worte interpretierte vielleicht auch frei nach dem Motto zuverstehen: „Egal, wie schön sich die heutigen Reden anhören, ich sehe die Bedeutung zwischen den Zeilen, und die übersetze ich auch!“

                                                                                                                                                                      

 

 

 

 

 

                                                                                                                                                                     Nicolas Steffen

 

Weitere Informationen unter:

The Day Mandela Was Arrested, With A Little Help From the CIA (newsweek.com, 5.12.2013)
http://www.newsweek.com/day-mandela-was-arrested-little-help-cia-223935

Angst vor dem „schwarzen Terroristen“ (sueddeutsche.de, 06.12.2013)
http://www.sueddeutsche.de/politik/nelson-mandela-und-der-westen-angst-vor-dem-schwarzen-terroristen-1.1837367

Der Schatten des Buffels (spiegel.de, 07.06.2010, Ausgabe 23/2010)
http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-70833814.html

The Conservative party’s uncomfortable relationship with Nelson Mandela (theguardian.com, 06.12.2013)
http://www.theguardian.com/politics/2013/dec/06/conservative-party-uncomfortable-nelson-mandela

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