Was bedeutet der Lockdown für die Diaspora?
Wir ließen uns von verschiedenen Mitgliedern der afrikanischen Diaspora hier und in anderen Ländern berichten, was die Pandemie und der Lockdown für sie verändert haben, was die Situation für sie persönlich bedeutet.
„Ich will raus“, so war die Reaktion des aus dem Kongo stammenden 22-jährigen Patscho, Student an der TH Köln. Er äußert das, was die meisten weltweit im Moment wollen. Die Coronapandemie wird nicht morgen enden.
Der Lockdown für die Diaspora bedeutet viel mehr als nur Home-Office. Es geht zuerst um Reisebeschränkungen und Schwierigkeiten bei Aufenthaltsprozeduren. Der 22-jährige Kameruner Mathieu Mballa, Student an der Diplomatischen Akademie Wien, redet über seinen Fall: „Ich habe irgendwie unter der Pandemie gelitten, als ich bestimmte Formalitäten bzgl. meines Aufenthaltstitels erledigen musste. So was ist in der Zwischenzeit anstrengender geworden, da sich alle Dienstleistungen verzögern.“
Von diesen Schwierigkeiten blieb ich persönlich nicht verschont, als ich wegen des im März 2020 in Kraft getretenen ersten Lockdowns vier Monate in Kamerun festsaß und von da das ganze Sommersemester 2020 online machen musste. Weder von der deutschen Botschaft in Yaoundé noch von meiner Hochschule bekam ich Unterstützung.
„Vor vier Monaten bin ich in Österreich eingetroffen. Das war mitten in der Pandemie-Zeit, als Grenzen fast überall noch zu waren. Meine Hochschule hat mich glücklicherweise beim Visumantrag unterstützt, denn die Botschaft im benachbarten Nigeria behandelte nur Sonderfälle“, so Mathieu Mballa, der definitiv mehr Glück als ich hatte.
Eine Auszubildende aus Kamerun, die anonym bleiben möchte, spricht darüber, was sie im Rahmen des Lockdowns erlebt hat. „Am Anfang des Lockdowns haben wir mit der Arbeit bei der Klinik weitergemacht. Nach einem Corona-Fall in dem Gebäude, wo ich wohne, wurden wir komplett gesperrt. Wir durften unsere Wohnungen gar nicht verlassen. Das war echt schwer. Jeden Tag alleine in meinen vier Wände bleiben. Ich bin fast verrückt geworden.“ In einer solchen Situation befinden sich tausende Student*innen der afrikanischen Diaspora, die keine Familie hier haben und die jetzt nur schwer Freund*innen finden können. Mathieu Mballa beschreibt: „Es war und bleibt noch ein eigenartiges Erlebnis, weil es immer wieder zu harten Lockdowns kommt. So habe ich nicht nur beschränkten Kontakt zu Kommiliton*innen, sondern auch kaum Freiheiten. Bekannte zu treffen ist jetzt ein Luxus, geschweige denn einen Job auszuüben. Wirtschaftlich gesehen hat die Krise keine spürbare Wirkung auf meine finanzielle Lage gehabt, zumal ich Stipendiat bin.“ Bezüglich ihrer Situation bestätigt auch oben genannte Auszubildende: „Im Rahmen unserer Ausbildung hat sich viel geändert. Die Form, der Inhalt und die Methode vieler Projekte bzw. Aufgaben wurden komplett geändert. Vom Lockdown habe ich schon die Nase voll.“
Michel Vziga, kamerunischer Deutschlehrer in Thai Binh, Vietnam, erzählt uns von seinen Erfahrung als Lehrer mit dem Lockdown: „In unserer Sprachschule mussten wir alle Kurse ganz online gestalten und mit den Tools, Programmen und Lernplattformen sollten wir unseren Unterricht technisch und didaktisch organisieren. Wir haben es geschafft, den Präsenzunterricht ganz auf online umzustellen. Gerade diese Umstellung in die virtuelle Welt und der Verlust des sozialen Kontakts bedeuten für mich als Lehrer, dass es heutzutage nicht ausreicht, nur an die Didaktik zu denken, sondern auch die Digitalisierung, neue Technologien der Kommunikation in den Lehr-Lern-Prozess zu integrieren“. Für Michel ist es klar, dass der Weg zum digitalen Leben etwas Positives hat, aber Patscho sieht das alles mit skeptischen Augen. Für ihn gilt: „Lockdowns ist gleich Einschränkung des sozialen Lebens. Alles, was man in Präsenz erreicht, kann von den Medien nie vollständig ersetzt werden. Viele Zusammenkünfte sind teils oder vollständig abgesetzt, und dadurch wird das gewohnte Miteinander in Frage gestellt“.
Trotz dieser Skepsis kann man auch die durch den Lockdown geöffneten Türen nicht ignorieren. Wenn man die Situation gut bedenkt, kann man auch etwas Neues gründen, weil das Leben nach Corona das Gefühl der Pandemie weiter tragen wird, und das heißt, das Digitale wird immer bedeutungsvoller sein. Gaius Watsa, Lektor in der Germanistikabteilung an der Silpakorn University in Bangkok, meint: „Viele andere aus der Diaspora wie ich riefen den Lockdown über hindurch (digitale) Unternehmen mit mannigfaltigen Serviceleistungen ins Leben, (Online Tutoring, Warenlieferungsbetriebe, Online Werbe- und Verkaufsindustrien usw.), welche jeweils einem lockdownbedingten Problem zu begegnen versuchen. (…) Wir sehnen zwar alle ein sehr baldiges Ende der Krise und somit des Lockdowns herbei, aber ein Fakt ist, tausende Menschen, Großunternehmer, Weltmächte usw. profitieren auch davon. Ich frohlocke letztendlich richtiggehend, dass sich die digitale Welt durch den Lockdown so rasch entwickelt, und sich dabei unser Leben sowie Mitdenken fortan umstellt. Zu bedauern wäre es meinem Ermessen nach, über diese Zeit müßig zu bleiben.“ Allerdings muss Patscho wahrscheinlich noch eine Weile warten, bis er bedingungslos wieder raus gehen darf.
Landry Ngassa
Der Beitrag wurde ursprünglich in unserer gedruckten Februar/März-Ausgabe veröffentlicht.