Ngũgĩ wa Thiong’o in Köln – mehr als eine Lesung

Ngũgĩ wa Thiong’o in Köln – mehr als eine Lesung

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Kenianischer Erfolgsautor begeistert das Kölner Publikum.

Der Star des Abends: Ngugi Wa Thiongo. Foto: Herby Sachs/version-foto.de

Es ist der 18.Juni, kurz nach 19 Uhr. Über 300 Menschen haben den Weg ins FORUM Volkshochschule im Kölner Rautenstrauch-Joest-Museum gefunden, um eine der wichtigsten literarischen Stimmen Afrikas live zu erleben. Dabei ist das Publikum bunt gemischt. Für die Lesung unter dem Motto „Ngũgĩ wa Thiongʼo – Ein Leben für die Literatur und sprachliche Vielfalt“, muss die Bestuhlung des Saals komplett ausgereizt werden. Wer sich nicht sicher ist, ob die eigenen Englisch-Kenntnisse ausreichen, kann sich sicherheitshalber ein Simultanübersetzungsgerät ausleihen.

Das Stimmengewirr verstummt, als der kenianische Musiker Steven Ouma einen Song auf Kiswahili anstimmt. Nach der Begrüßung und Danksagungen an alle Beteiligten werden die Hauptakteure auf die Bühne gebeten: Dr. Rémi Tchokothe, Moderator der Veranstaltung, Azizè Flittner, Vorleserin der deutschen Übersetzungen, und natürlich Ngũgĩ wa Thiongʼo selbst, der kenianische Autor um dessen literarisches Werk sich heute Abend alles dreht. Das Gespräch beginnt mit einer kurzen Vorstellung des Schriftstellers und beeindruckenden Zahlen (33 Bücher veröffentlichte er bereits, diese wurden in 40 Sprachen übersetzt!). Dann geht es los mit einem literarischen Appetithäppchen. Ngũgĩ wa Thiongʼo trägt ein Gedicht über Freiheit und Widerstände vor, welches er in seiner Muttersprache Gĩkũyũ verfasst und Nelson Mandela gewidmet hat. Lyrik sei normalerweise nicht seine präferierte Form zu schreiben, aber für stark emotionale Themen eben die beste Ausdrucksform.

Köln 18.6. 2018 Rautenstrauch_Joest Museum, Veranstaltung von Stimmen Afrikas mit dem kenianischen Autor, Ngugi Wa Thiongo Foto: Herby Sachs/version-foto.de
Köln 18.6. 2018 Rautenstrauch_Joest Museum, Veranstaltung von Stimmen Afrikas mit dem kenianischen Autor, Ngugi Wa Thiongo Foto: Herby Sachs/version-foto.de

Im Anschluss daran liest Azizè Flittner einen Auszug aus dem „Herr der Krähen“, einem der bekanntesten Romane des Autoren. Kurz vor der Pause betont der Protagonist des Abends noch einmal, wie wichtig ihm die Beziehung zu seiner Heimat Kenia sei, auch wenn diese nicht immer die einfachste war. Denn, nachdem er 1977 wegen eines Theaterstücks ohne Anklage für ein Jahr inhaftiert wurde, ging er 1982 ins Exil. In diesem Jahrzehnt schrieb er die Essaysammlung „Dekolonialisierung des Denkens“, die im letzten Jahr nach fast 40 Jahren erstmals ins Deutsche übersetzt wurde.

Köln 18.6. 2018 Rautenstrauch_Joest Museum, Veranstaltung von Stimmen Afrikas mit dem kenianischen Autor, Ngugi Wa Thiongo Foto: Herby Sachs/version-foto.de
Köln 18.6. 2018 Rautenstrauch_Joest Museum, Veranstaltung von Stimmen Afrikas mit dem kenianischen Autor, Ngugi Wa Thiongo Foto: Herby Sachs/version-foto.de

Auf diesem Thema liegt der Fokus nach der Pause, denn die Botschaft von Ngũgĩ wa Thiongʼo ist klar: Keine Sprache der Welt soll als wertvoller angesehen werden als eine andere. Dabei geht es ihm vor allem um die Pflege und eine positivere Konnotation aller afrikanischen Sprachen, die oft unterdrückt und im öffentlichen Kontext sogar verboten werden. Wenn weiterhin Fortschritt und Intelligenz nur mit den europäischen Kolonialsprachen verknüpft würden, werde dies negative Auswirkungen auf die gesamte afrikanische Kultur haben. Man solle neue Sprachen nicht lernen, um die eigenen sprachlichen Wurzeln zu ersetzen, sondern zu ergänzen. Um diesen Schwerpunkt der zweiten Hälfte der Lesung drehen sich auch die folgenden Publikumsfragen. An den Reaktionen der bis hierhin stillen Hörerschaft wird deutlich, dass dieses Thema hochemotional und topaktuell ist. Aus Zeitgründen bleibt eine weiterführende Diskussion leider fragmentarisch, aber eins ist sicher: Dieser Abend ist mehr als eine Lesung. Er kann als Anknüpfungspunkt für ein neues Verhältnis zur afrikanischen Muttersprache dienen. Ein begeistertes Publikum, der leer gefegte Büchertisch und eine lange Schlange beim Bücher signieren stehen für sich – ein wunderbares Feedback für das Projekt „stimmen afrikas“, welches die Veranstaltung mit verschiedenen Förderern und Kooperationspartnern organisierte.

Hannah Holtz (stimmen afrikas)