Presse und Freiheit? – 10 Jahre nach dem Arabischen Frühling

Presse und Freiheit? – 10 Jahre nach dem Arabischen Frühling

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Der Arabische Frühling sollte auch neuen Wind in die Medienlandschaft bringen – mehr Meinungs-, und Pressefreiheit war der Wunsch vieler Menschen. Was ist daraus geworden?

Ob besorgte Äußerungen oder regierungskritische Bemerkungen – Menschen, die in einem Land leben, in dem die Pressefreiheit gewährleistet ist, können sich mit diesen Themen mittels der unabhängigen Berichterstattung von Journalist*innen auseinandersetzen. Nicht selten werden dadurch Probleme oder Missstände offengelegt. Doch in vielen Ländern dieser Welt ist diese nur eingeschränkt oder gar nicht möglich. Auch die Menschen der Länder, die am Arabischen Frühling beteiligt waren, wünschten sich mehr Freiheit und Unabhängigkeit für Journalist*innen und die Presse. Mit dem Arabischen Frühling kam nicht nur eine Fülle an Protesten, Aufständen und Revolutionen, sondern auch die Hoffnung auf mehr Presse- und Meinungsfreiheit. Doch wie sieht es heute, zehn Jahre nach diesem Aufbruchsjahr, mit diesem Thema aus? Welche Errungenschaften konnten erhalten bleiben und wo folgte Ernüchterung auf die anfängliche Euphorie? 

Die Auslöser 

Aus Sicht verschiedener Regierungschefs der betroffenen Länder waren die Proteste, die im Dezember 2010 und den folgenden Monaten stattfanden, nur deswegen möglich, weil es ein freizügiges Medien-, und Informationsumfeld gegeben hat. Dies sei dementsprechend verantwortlich für die großen Umstürze, die stattgefunden haben. 

Es stimmt, dass zu Beginn in erster Linie die sozialen Medien eine große Rolle spielten: Vor allem Facebook diente am Anfang zur Mobilisierung der Bevölkerung, aber auch über kleine Filme bei YouTube konnten Protestierende – vor allem junge Araber*innen – der Welt zeigen, in welcher Aufbruchsstimmung sich ihre Länder befanden und Informationen diesbezüglich weitergeben. Doch auch das Fernsehen oder die Kommunikation übers Handy waren wichtig. Vor allem in Ägypten hatten 75 Prozent der Bevölkerung zu dieser Zeit keinen Internetzugang, wohl aber mehr als zwei Drittel der Ägypter*innen besaßen ein Handy. Informationen zu Protesten, Bilder und kleine Filme konnten sich so rasend verbreiten und schnell viele Informationen weiterleiten – die Masse an unterschiedlichen Medien war also scheinbar der Schlüssel zum Erfolg der Informationsübermittlung. Al-Jazeera zeigte zu dieser Zeit die stattfindenden Geschehnisse der ägyptischen Revolution auf dem Tahir-Platz in Kairo, die sich gegen den damals herrschenden Präsidenten Husni Mubarak richtete. Bilder und Informationen dazu hatte al-Jazeera von Twitter und Facebook bekommen. Auch andere Vernetzungsmöglichkeiten bot der TV-Sender an, wie bspw. einen Podcast oder einen Nachrichtenticker. Das ägyptische Staatsfernsehen strahlte hingegen Bilder eines angeblich leeren Tahir-Platzes aus, um den Anschein zu erwecken, dass es keine großen Aufstände gab und die Regierung die Ereignisse unter Kontrolle hatte. 

In Tunesien war die Zensur im Internet zu dieser Zeit schon weitaus strikter als in anderen Ländern, wie z.B Ägypten. Die Regierung blockierte viele Internetseiten, darunter Webseiten von Amnesty International, YouTube oder auch mehrere Facebookseiten. Trotzdem schafften es viele Internetaktivisten gemeinsam, den Protest gegen die Regierung – auch abseits der Straßenaufstände – mithilfe von Blogs oder Foren virtuell durchzuführen. 

Erste Erfolge? 

Trotz der Rücktritte und Absetzungen mehrerer Staatsoberhäupter in den folgenden Monaten und der damit verbundenen Hoffnungen auf neuen Wind in der Meinungs-, und Pressefreiheit in diesen Ländern, schien sich dies schwieriger zu gestalten, als man erhofft hatte. Die internationale Vereinigung der Zeitungen und Medienverlage (WAN-IFRA) veröffentlichte im Mai 2011, nur wenige Monate nach den Revolten, einen Bericht, der kritisch auf die Lage der Medien in den betroffenen Ländern schaute. So kritisierte er, dass es weder in Tunesien, Libyen oder Ägypten große Fortschritte bei der Einführung einer Gesetzgebung gegeben hätte, die die Pressefreiheit schütze. Bis zum Mai 2011 wurden mehrere Fälle bekannt, in denen Fotograf*innen oder Journalist*innen angegriffen, verletzt, entführt oder sogar getötet wurden. Bei dem Bürgerkrieg in Libyen 2011 wurden innerhalb nur weniger Monate mehr als 80 Übergriffe auf Journalist*innen erfasst. Auch Auslandskorrespondent*innen wurden ausgewiesen, sodass sich ein allgemeiner Informationsfluss als sehr schwierig erwies. 

Kleinere Fortschritte im Presserecht konnten zu dieser Zeit in Tunesien oder Ägypten beobachtet werden, wenn auch hier WAN-IFRA eben von keinen großen Verbesserungen sprach. In diesen Ländern konnte nach Sturz vom autokratisch regierenden Präsidenten Zine el-Abidine Ben Ali sowie dem ägyptischen Machthaber Hosni Mubarak etwas mehr Pressefreiheit entstehen. Schaut man sich jedoch die Vorkommnisse dort kurz nach der arabischen Revolution an, scheint es, als wäre diese neu gewonnene Freiheit mehr Schein als Sein: Im April 2011 wurde in Kairo der Blogger Maikel Nabil Sanad verurteilt, da er die Rolle der Armee während der ägyptischen Revolution verurteilt hatte. Es folgten drei Jahre in Haft. In Tunesien streikten im Februar 2011 hunderte Journalist*innen, um auf die anhaltende Zensur sowie die zu langsamen Reformen aufmerksam zu machen. In einem Artikel von 2011 in der Zeitschrift „ver.di publik“ erklärt der Journalist Harald Gesterkamp, wieso die Lage vieler arabischer Medien schwierig sei – es sei ein strukturelles Problem, was dahinterstecke: Meist gehören die Sender und Zeitungen der Regierung oder einer politischen Partei in dem Land. Sind es jedoch private Eigentümer, so seien sie meist mit den Machtinhaber*innen befreundet oder versuchen zumindest, ein gutes Verhältnis miteinander zu haben – sonst würde es möglicherweise zu Schwierigkeiten mit ihrer Lizenzfreiheit kommen. Des Weiteren könnten die gegenteiligen Meinungen der Eigentümer*innen sie die wichtigen Anzeigen von Staatsunternehmen kosten, die jedoch sehr lukrativ und von wirtschaftlichem Nutzen für die Medien sind. 

Dass die neuen Machthaber*innen, wie bspw. der jetzige ägyptische Präsident Abdel Fatah El-Sisi, mit aller Macht versuchen wollen, mögliche, neue Proteste zu unterbinden oder kritische Stimmen aus dem Land mundtot zu machen, ist auch erkennbar, wenn man sich das Pressesystem in diesen Ländern anschaut. Abdel Fatah El-Sisi, der in Ägypten seit 2014 an der Macht ist, hält die Medien durch ausführliche Gesetztes-, sowie Verfassungsänderungen sehr unter Kontrolle – unter anderem auch dadurch, dass es strafbar für Journalist*innen ist, Nachrichten zu verbreiten, die offiziellen Regierungserklärungen widersprechen. Durch dieses Mediengesetz erleichtert es der ägyptischen Regierung, Strafverfolgungen, Verhaftungen oder Zensur durchzuführen. Höchstens im Internet gibt es noch eine kleine Chance für unabhängige Medien, Informationen zu verbreiten. Doch die ägyptische Regierung hat auch hier seit 2017 mehr als 500 Webseiten blockiert – Pressefreiheit sieht anders aus. 

„Reporter ohne Grenzen“ zeigt sich besorgt 

Diese Missstände klagt auch die Nichtregierungsorganisation „Reporter ohne Grenzen“, die sich weltweit gegen Zensur und für Pressefreiheit einsetzt, in einigen Ländern an – und das, obwohl es ein Jahr nach der Revolution noch so positiv und vielversprechend wirkte: In der „Rangliste der Pressefreiheit“ verbesserte sich Tunesien bspw. nach dem Sturz von Machtinhaber Ben Ali innerhalb eines Jahres um ganze 30 Plätze. Heute, 10 Jahre später, schreibt „Reporter ohne Grenzen“ zu Tunesien, dass es bei der Reform der Mediengesetze zwar immer wieder Rückschläge und Verzögerungen gäbe, die Pressefreiheit jedoch eines der wichtigsten Ziele des demokratischen Überganges bleibe. Trotz tätlicher Angriffe gegenüber Journalist*innen in dem Land in den vergangenen Jahren, nahm die Zahl dieser Übergriffe jedoch deutlich ab. Ein Lichtblick? Auf der Karte von „Reporter ohne Grenzen“ ist Tunesien als einziges Land von den Ländern, in denen der Arabische Frühling stattfand, mit orange gekennzeichnet, was bedeutet, dass es trotz möglicher Änderungen in dem Land erkennbare Probleme gibt. 

Die anderen Staaten sind mit roter oder schwarzer Farbe hinterlegt – bedeutet schwierige bis sehr ernste Lage. Es scheinen sich also leider viele Länder im Thema Pressefreiheit zu ähneln. War Ägypten vor vier Jahren noch auf Platz 161 von 180, so liegt es 2021 bei Platz 166; mit momentan 33 inhaftierten Journalist*innen. Libyen liegt nur kurz dahinter mit Platz 164, beide Länder stehen auch auf der Liste der „Feinde der Pressefreiheit“. Einschüchterungen oder spezielle Gesetze gegenüber den Medien sind auch in anderen Ländern, wie Kuwait, Marokko oder Jordanien vertreten – dabei gilt Kuwait noch als der am wenigsten repressive der arabischen Golfstaaten (Platz 109). Die hinteren Plätze der Länder, in denen der Arabische Frühling zu spüren war, werden von Saudi-Arabien (170) sowie Syrien (174) belegt. Unabhängige Medien haben hier keine Chance, freie Medienschaffende werden verfolgt oder gefoltert. Traurige Bekanntheit erlangte die Medienlandschaft Saudi-Arabiens mit der Ermordung des Exil-Journalisten Jamal Khashoggi in Istanbul im Oktober 2018. Kashoggi hatte offen die saudi-arabische Regierung kritisiert. 

Die Bilanz zur Pressefreiheit in den betroffenen Ländern des Nahosts ist besorgniserregend. Schien es am Anfang so, als ob Regelungen zur Medienfreiheit in die neuen Ordnungen der Länder eingeführt werden könnten, so gestaltet sich dies weitaus schwieriger, als erhofft. Das Ranking von „Reporter ohne Grenzen“ lässt viele anfängliche Hoffnungen hinter sich und zeigt, dass noch viele, weitere Schritte gegangen werden müssen, um zu Meinungs-, und damit einhergehend auch Pressefreiheit zu gelangen. Größter Respekt, Solidarität und Dank geht an all die Journalist*innen, die die herrschenden Missstände aufdecken, verbreiten und sich somit weigern, sich den medienfeindlichen Regimen zu beugen. 

Ronja Göttlicher

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