SORMAS – Westafrika lehrt Corona-Bekämpfung
Eine Seuchenmanagementsoftware aus Westafrika, die die Erfassung von Coronafällen innerhalb des Gesundheitssektors erleichtert, wird nun auch in Deutschland verwendet.
In den Jahren 2014 und 2015, also einige Zeit bevor COVID-19 der Welt (sprich)wörtlich den Atem raubte, entwickelten das Helmholtz Zentrum für Infektionsforschung (HZI), das African Field Epidemiology Network (AFENET), das Nigeria Centre for Disease Control (NCDC) und die vitagroup in Kooperation eine neue Software zum Managen von epidemischen Seuchenausbrüchen: das Surveillance Outbreak Response Management and Analysis System, kurz SORMAS. Ziel der Entwicklung dieser neuen Anwendung war es, eine Vernetzung von allen relevanten Akteur*innen für die Kontaktpersonen von Patienten über ein digitales Melde- und Managementsystem zu ermöglichen.
Inzwischen sagen viele mit Blick auf die Corona-Fallzahlen, dass gerade aufgrund der Erfahrungen mit früheren Seuchen die westafrikanischen Länder besser auf die Coronavirus-Pandemie vorbereitet gewesen seien als der Rest der Welt. SORMAS könnte diese Aussage stützen, obwohl die Software ursprünglich nicht für COVID-19 ausgelegt war. Ende 2017 wurde SORMAS in immer mehr Distrikten Nigerias eingeführt und konnte bei der Bekämpfung von drei gleichzeitig auftretenden großen Ausbrüchen von Affenpocken, Lassa-Fieber und Meningokokken erfolgreich unterstützen. Seit November 2019 wird SORMAS auch in Ghana verwendet und ist damit bereits in insgesamt 400 Distrikten in beiden Ländern im Einsatz, ein Gebiet mit über 85 Millionen Einwohner*innen.
Innerhalb kürzester Zeit wurde dann die Anwendung um ein SARS-CoV-2-Modul ergänzt, um sie auch für die Corona-Pandemie nutzen zu können. „Aufgrund des flexiblen Bausteinkonzeptes von SORMAS konnten wir das spezifische Coronavirus-Modul bereits innerhalb weniger Tage aktivieren“, hebt Virologin Juliane Dörrbecker, die die Konzeption leitete, auf der Webseite des HZI hervor.
Das Modul erlaubt es, auch in entlegenen Regionen Einzelfälle von an COVID-19 Erkrankten frühzeitig zu erfassen. Dabei werden die Daten in Echtzeit gesammelt und ausgetauscht. Die Daten erhält das digitale System zunächst von den Gesundheitsämtern. Wenn ein*e Ärzt*in eine*n Patient*in mit Symptomen behandelt und danach selbst einen positives Corona Test-Ergebnis aufweist, wird dieser Fall von der Praxis an das örtliche Gesundheitssystem weitergeleitet. Dort wird der Fall in die Datenbank eingepflegt, sowie alle möglichen Kontaktpersonen, sodass ein Cluster entsteht.
Alle relevanten Akteur*innen sind entsprechend ihrer Aufgaben über SORMAS vernetzt. Zurzeit sind dies 12 verschiedene Nutzer*innengruppen, wie zum Beispiel Labore, Ärzt*innen, Gesundheitsaufseher*innen, Epidemiolog*innen und Flughafenärzt*innen. Primär wurde das System für den Einsatz in Regionen mit schlechter Infrastruktur ausgelegt und kann auch dann betrieben werden, wenn keine Mobilfunkverbindung besteht.
Somit ermöglicht die in deutsch-nigerianischer Kooperation entstandene Software, Arbeitsprozesse rund um die Überwachung der Epidemie effizienter zu gestalten. In Nigeria liegen die offiziellen Zahlen von Covid-19 Fällen mit etwa 58.500 offiziell bestätigten Fällen (Stand 29.09.2020) überraschend niedrig für ein Land mit ca. 206 Millionen Einwohner*innen. Das liegt unter anderem auch an dem Überwachungsinstrument SORMAS.
Inzwischen ist die App in weiteren Ländern sehr gefragt, und auch Deutschland profitiert nun von dem Tool. Zunächst wurde das Coronavirus-Modul der App dafür an die Gegebenheiten des deutschen Gesundheitssystems angepasst. Gemeinsam mit dem Robert Koch-Institut wird SORMAS-ÖGD-Covid-19 seitdem allen interessierten Gesundheitsämtern zur Verfügung gestellt. Die Nutzung ist für die Gesundheitsämter kostenfrei. Derzeit arbeiten in Deutschland 43 von knapp 400 Gesundheitsämtern mit SORMAS (Stand 07.08.2020). Die Software ist im Großen und Ganzen dazu da, einen Überblick über die Infektionsketten zu schaffen. Excel-Listen sowie kleinere Tools, mit denen bisher gearbeitet wurde, werden so ersetzt. Von dem System verspricht man sich eine bessere Skalierbarkeit und besseren Datenschutz – SORMAS erfüllt die Vorgaben der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) und des Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) – sowie eine automatische Auswertung.
SORMAS zeigt, dass Globalisierung nicht nur globale Probleme bedeutet, sondern durchaus auch für deren Lösung Erfahrungswerte global geteilt und genutzt werden können. Austausch geht schließlich in beide Richtungen!
Michelle Bäumer & Julia Bittermann
Dieser Beitrag wurde ursprünglich in unserer gedruckten Oktober/November 2020-Ausgabe veröffentlicht.