Von Togo nach Berlin: Die Aufstiegsgeschichte des Modeschöpfers Rio Diallo

Von Togo nach Berlin: Die Aufstiegsgeschichte des Modeschöpfers Rio Diallo

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Bei einem persönlichen Gesrpäch mit LoNam gewährt Rio Diallo Einblick in seine Arbeiten. © Michelle Sandfuchs
Bei einem persönlichen Gespräch mit LoNam gewährt Rio Diallo Einblick in seine Arbeiten. © Michelle Sandfuchs

Mode für alle Menschen, das möchte Rio Diallo schaffen. Dabei sieht er sich als Künstler, inspiriert von seiner Umwelt, der Heimat Togo und den neuen Umständen in Deutschland. Trotz einiger struktureller Hindernisse gab Rio nie auf, brachte sich das Näh-Handwerk größtenteils selbst bei und verschaffte sich einen Platz in der Aufsteigerszene Berliner und afrodiasporischer Designer*innen. Sein Ziel ist es, seine Mode bis in die Präsidentenhäuser zu etablieren und dabei die Wirtschaft in Togo zu unterstützen. Wieso er Second Hand nicht als Lösung, sondern als Teil des Problems sieht, erfahren Sie im folgenden Interview.

Du hast in diesem Jahr schon an einigen Shows teilgenommen, unter anderem im März bei der Afro Fashion Circle Show oder im August in Mannheim beim Flavours of Africa-Festival. Wie würdest du deinen Style beschreiben?

Auf jeden Fall viele Farben (lacht). Viele Farben und viele Details. Ansonsten würde ich sagen, dass wir eine afrikanische Berliner-Street-Modemarke sind. Dabei verschmelzen Ästhetiken der afrikanischen Kultur, also afrikanische Muster, Farben und Texturen, mit zeitgemäßen legeren Elementen. Im Moment gehe ich noch etwas mehr in Richtung der Haute-Couture. Aus meiner Sicht muss man sich darüber erst einmal definieren, damit Menschen die Marke und den Stil kennenlernen, denn heutzutage kann jeder sagen, dass er Designer ist. Der Style sollte idealerweise schon vielen Leuten vermitteln, welches Label es ist, nicht nur weil wie bei Gucci beispielsweise der Name groß auf dem Shirt steht.

Wofür steht Rio Diallo ansonsten?

Rio Diallo trennt seine Kleidung nicht geschlechtsspezifisch, sondern sie ist unisex. Frauen und Männer können die gleichen Sachen tragen. Von Anfang fand ich es komisch, dass es in Deutschland immer Männer- und Frauenabteilungen gibt. Ich denke, dass man tragen kann, was man will.

Ansonsten mache ich nicht nur etwas in Deutschland. Ich habe auch Partner in Togo. Wir überlegen immer, wie man afrikanische Marken der Welt zeigen kann. Gerade versuchen wir, ein Atelier aufzumachen, in dem Menschen aus Togo Kleidung produzieren können. Ich denke, dass ich dort Jobs kreieren kann und sollte. Es ist ja schließlich meine Heimat. Afrika leidet unter einem großen Mangel an Arbeitsplätzen, und wir müssen unseren Landsleuten die Möglichkeit geben zu zeigen, was sie können. Unser Ziel ist auch, einen Laden in Togo aufzumachen. Aber nicht nur in dort, sondern inshallah in ganz Afrika und dann auch in Europa. Ich möchte, dass Präsidenten meine Mode tragen. Aber jetzt sind wir noch ganz am Anfang.

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Rio Diallos Mode ist unisex und somit keinem bestimmten Geschlecht zugewiesen. © onemanmotion

Inwiefern prägten deine persönlichen Erfahrungen dein Interesse an Mode?

Ich bin in Togo geboren, dort aufgewachsen, bis ich 15 war, und dann nach Deutschland gekommen. In der Schule war es sehr wichtig, die eigene Uniform ordentlich, sauber und passend zu tragen. Es ging also immer darum, einen guten Eindruck zu erwecken. Ich denke, man wächst dadurch sehr stark mit einem Verständnis für Mode auf. Wir durften unsere Kleidung sogar zu einem gewissen, sehr kleinen Teil modifizieren, zum Beispiel eine kleine Tasche auf Brusthöhe annähen. Ende des Schuljahres gab es unter uns Schülern dann immer eine Art Wettbewerb, wer den besten Style hat. Es existierte also schon ein gewisser Druck, gut auszusehen.

Andererseits war man im Privaten in der Gestaltung seiner Kleidung sehr frei. Darum bin ich in Togo nicht einfach in einen Laden gegangen und habe mir etwas zum Anziehen gekauft. Nein, erst kaufte ich einen Stoff, danach ging ich zu einem Schneider, sagte, was genau ich haben wollte, und dann wurde es nach Maß angefertigt. Als ich nach Deutschland kam, haben mir die Hosen, die ich hier im Laden gekauft habe, nie gepasst. Ich musste sie enger nähen lassen und fand es immer komisch, dass es Konfektions-Kleidung gibt, in die man dann reinpassen soll. In meinen Lifestyle hat es auch nicht gepasst. Die Qualität ist auch oft sehr schlecht, beim Waschen bleicht die Farbe aus, oder der Stoff hat ein Loch, und man gibt immer wieder neues Geld aus. Auf jeden Fall dachte ich mir irgendwann, warum probiere ich es nicht selbst? Anstatt nur zu kritisieren. Diese Unterschiede zwischen Deutschland und Togo haben mich inspiriert, selbst Mode zu kreieren.

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Die Designs Rio Diallos verbinden afrikanische Ästhetik mit Berliner Street-Style-Komponenten. © Janina Jackson

Was genau inspiriert dich und deine Designs?

Alles Mögliche. Aber oft sind es die traditionellen Mustern meiner Kultur.

Gehen Menschen in Togo anders mit Kleidung und Konsum um als in Deutschland?

Ja ich denke schon. Vielleicht auch generell in Afrika? Ich komme aus einer Stadt. Da geht man zum Schneider, mit eigenem Stoff, und sagt, was man will. Nur für dich, nicht für andere gemacht. Und dadurch schmeißt man es auch nicht einfach so weg. Die Sachen passen für eine lange Zeit, das ist einfach unser Umgang mit Kleidung. In Europa finde ich die Kleidung für Frauen meist schöner als die für Männer, nicht so langweilig. Die Klamotten aus den meisten Läden hier sind für mich ein No-Go, wegen des Designs und der Farbe.

Das in der Corona-Pandemie genähte Kleid steht mit seinen Farben einerseits für Selbstvertrauen (Blau) und andererseits dafür, weiterzumachen (Weiß). © onemanmotion

Prägt dieses Verständnis von Mode auch deine Persönlichkeit?

Ich denke schon. Ich zumindest möchte nicht das anziehen, was alle anderen tragen. Ich muss anders aussehen. Wenigstens ein paar Details, irgendwas muss ich immer verändern. Und ja, ich denke das zeigt auch meine Persönlichkeit. Mit Mode demonstrieren wir anderen Menschen, wer wir sind. Bei Familienfeiern oder anderen traditionellen Festen in Togo zum Beispiel trägt man sehr besondere Kleidung, die man sonst nicht anzieht. Man wird überrascht von dem, was die anderen tragen, und alle lassen sich voneinander inspirieren. Ich denke, das hat sehr meinen Umgang mit Mode und meine Arbeit als Rio Diallo geprägt.

Besonders in Berlin gibt es mittlerweile eine große Szene, die Second Hand-Kleidung konsumiert. Dort wird kaum zwischen männlicher und weiblicher Kleidung unterschieden, und meistens sind es Einzelstücke. Was hältst du davon?

Second Hand ist auch kapitalistisch. Erstmal sind das Sachen, die jemand schon getragen hat. Die Person wollte es nicht mehr, und deswegen hängt das wieder in einem Laden. Eigentlich sollten diese Sachen günstig sein, sodass andere Leute sie wirklich kaufen können. Aber mittlerweile ist alles teuer. Und deswegen denke ich, dass es nur ums Geldverdienen geht. Ich kann das nicht verstehen. Darum sehe ich das ein bisschen als Risiko, auch für mich als Marke.

Kleidung sollte langlebig sein und nicht ständig weg- und weitergegeben werden. Man sollte etwas kaufen, wenn man weiß, dass man es für lange Zeit tragen wird. Irgendwann kannst du es an deine Kinder weitergeben. Aber Second Hand ist dafür ausgelegt, weiter zu konsumieren und die Sachen leicht wieder loszuwerden. Das ist so ein Hin und Her, du weißt nicht, woher deine Sachen kommen oder wer dahintersteckt, von Anfang an. Es geht nur ums Kaufen.

Was sollte sich deiner Meinung nach in der Modeindustrie ändern?

(Denkt kurz nach) Heutzutage wird in der Modewelt viel zu viel produziert. Ich glaube mittlerweile nicht mehr, dass es genug Menschen gibt, die das alles kaufen können. Außerdem gibt es bei der Produktion immer wieder Katastrophen, wo Menschen sterben, die dafür arbeiten, dass man hier Kleidung billig kaufen kann. Für mich ist es auch wichtig, dass man nicht Marken unterstützt, die Kinder ausbeuten. Das muss aufhören, wir sollten alle friedlich leben können. Diese Massenware wird am Ende verbrannt und verstärkt die Umweltbelastungen. Das muss anders organisiert werden. Wir haben nur diese eine Erde, und wenn alles zerstört ist, gehen auch wir unter.

Aber für mich ist es wichtig, meine Heimat zu präsentieren und mein Geld nicht in der Türkei oder China zu investieren, sondern in meine Leute. Wir müssen der Welt zeigen, dass die Community in Afrika auch etwas kreieren kann. Ich möchte mein eigenes Atelier eröffnen. Hier und in Togo. Und damit Arbeitsplätze schaffen.

Die Unterschiede zwischen Togo und Deutschland inspirierten den Modedesigner sein eigenes Modelabel zu kreieren. © onemanmotion

Wie kommt deine afrikanisch geprägte Mode in der deutschen Mehrheitsgesellschaft an?

Natürlich ist es nicht so einfach, als eine Schwarze Person in ein weißes Land zu kommen und dann Designer werden zu wollen. Allein von den Stoffen her, die ich verwende. Eine Deutsche zum Beispiel sollte nicht einfach afrikanischen Stoff tragen, wenn sie keinen Bezug dazu hat und die Bedeutung nicht kennt. Natürlich kann man es trotzdem tragen, aber es ist etwas anderes, wenn man versteht, woher der Stoff kommt. Ich habe hier zuerst auch die Sachen aus den Läden getragen, und versucht reinzupassen. Aber dann habe ich gemerkt, dass das nicht mein Ding ist. Ich will von vornherein sagen, okay, ich komme von da, das ist unsere Kultur, und ich stehe dahinter. Das wurde mir irgendwann bewusst.

In Deutschland hatte ich zuerst eine ganz andere Ausbildung begonnen und sie auch abgeschlossen, um mehr Sicherheit zu haben. Danach habe ich mich an einer Design-Schule beworben mit einer zehnteiligen Mappe. Alles war top, doch am Ende hat es wegen meiner schulischen Leistungen nicht gereicht. Natürlich war es schwer, gute Noten in Deutschland zu bekommen mit der für mich neuen Sprache. Dieser Moment war enttäuschend, und ich war auch sauer.

Trotzdem war ich voller Motivation und habe weitergemacht. Eines Tages bin ich auf das Street-College hier in Berlin aufmerksam geworden. Das war für mich eine Tür, eine Möglichkeit, mein Design allen Leuten zu zeigen, ohne Ausbildung, ohne Studium. Ich hatte Lust darauf, was zu lernen.

Aber es war echt nicht leicht, in die Branche reinzukommen. Man hat so viel Konkurrenz, und die hat mehr Ahnung von der Materie als du. Noch schwieriger wird es, wenn man in eine neue Stadt zieht und keine Freunde hat. Man muss versuchen, jeden Kontakt zu bekommen. Das ist auch jetzt noch nicht leicht. Aber ich habe mir Zeit gegeben, um etwas aufzubauen. Man kommt sehr langsam voran, muss auf viele Menschen zugehen, bevor man selbst Anfragen bekommt. Ich kann nicht einfach eine Hose nähen und dann sagen, dass ich Designer bin. Man muss sich immer beweisen, zeigen, dass man es kann, und wird viel in Frage gestellt.

Rio Diallos Mode strebt keine bestimmte Zielgruppe an, sondern kann von jedem Menschen getragen werden. © onemanmotion

Du möchtest Menschen in deiner Heimat Togo helfen und, wie ich es heraushöre, die Schwarze Community hier unterstützen. Inwiefern würdest du dich als afrodiasporischer Aktivist durch ein Afro-Label definieren?

(schmunzelt/lacht) Gute Frage, Afro-Label. Darüber habe ich noch nicht so viel nachgedacht, um ehrlich zu sein. Aber Rio Diallo sollte allen gehören. Darum passe ich auf, dass jeder von meinen Kreationen etwas tragen kann und dass es nicht zu sehr in nur eine Richtung geht. Ich finde, es macht keinen Sinn, nur eine Zielgruppe zu haben.

Aber für mich ist es wichtig, meine Heimat zu präsentieren und mein Geld nicht in der Türkei oder China zu investieren, sondern in meine Leute. Wir müssen der Welt zeigen, dass die Community in Afrika auch etwas kreieren kann. Ich möchte mein eigenes Atelier eröffnen. Hier und in Togo. Und damit Arbeitsplätze schaffen.

Ich sehe mich als Künstler. Denn ich habe mir das alles selbst beigebracht, und diese Ideen sind eine Kunst. Als Designer bin ich auf Mode beschränkt. Als Künstler kann ich alles machen, was ich will. Ich kann etwas Schönes malen oder einfach machen, was immer in meinen Kopf kommt. Es ist für mich wichtig, viele verschiedene Dinge tun zu können, so wie Virgil Abloh, der alte Louis Vuitton-Chef. Er hat ganz Unterschiedliches gemacht: von Autodesign bis zu einer Zusammenarbeit mit Ikea. Das inspiriert mich und gibt mir Sinn. Leider ist er schon gestorben.

Momentan erlebt afrikanischen Mode ein Hoch; und ich hoffe, dass es nicht mehr lange dauert, bis eine afrikanische Marke so beliebt ist wie Louis Vuitton. Zumindest ist das immer meine Motivation.

Aber auch die afrikanische Community muss uns unterstützen. Ich kenne viele afrikanische Brands, die sind besser als die großen Marken, aber ohne Unterstützung von außen kommen wir nicht nach oben.

Die Fragen stellte Michelle Sandfuchs

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