Windhoek: Proteste gegen die Annahme des Versöhnungsabkommens mit Deutschland

Windhoek: Proteste gegen die Annahme des Versöhnungsabkommens mit Deutschland

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Bereits 2016 wurde auf den Straßen Berlins für mehr direkte Beteiligung an den Versöhnungsverhandlungen protestiert © Joachim Zeller / Berlin Postkolonial
Bereits 2016 wurde auf den Straßen Berlins für mehr direkte Beteiligung an den Versöhnungsverhandlungen protestiert © Joachim Zeller / Berlin Postkolonial

Knapp 400 Demonstrant*innen marschierten am Dienstag den 21. September durch Windhoek. Sie überreichten der Stellvertretenden Parlamentspräsidentin Loide Kasingo eine Petition gegen die Ratifizierung des Versöhnungsabkommens mit Deutschland.

Das Abkommen steht bereits seit Beginn der Verhandlungen in deutlicher Kritik. Die Entscheidung des namibischen Parlaments über die Annahme des Abkommens wurde Anfang der Woche vertagt. Betroffene Gemeinschaften des Völkermordes an über 120.000 Angehörigen der Ovaherero und Nama zwischen 1904-1908, fordern eine direkte Beteiligung an den Verhandlungen und eine völkerrechtlich bindende Wiedergutmachung und Reparationszahlung.

Die Mitbegründerin und Vorsitzende des Ovaherero Genocide Committees, Esther Muinjangue, kritisiert an dem Abkommen, dass es nicht die Sachlage der betroffenen Gemeinschaften adressiere: „Das Dokument spricht nicht von Reparationen und Genozid. Es spricht von Rekonstruktion. Wir haben jedoch um keine Rekonstruktion gebeten, ihr habt einen Völkermord begangen und dafür müsst ihr Reparationen zahlen. So einfach ist es.“ Auch der Oppositionspolitiker Vipua Muharukua fordert gegenüber der Deutschen Welle (DW): „Wir brauchen keine Regierung, die sich den Forderungen Deutschlands beugt, unabhängig von der Haushaltslage.“

Vor dem Parlamentsgelände kam es zuvor zu einem kurzen Eklat. Die Demonstrierenden stießen auf abgeschlossene Tore und eine Polizei in voller Montur, wie Videos der Politikerin Utaara Mootu und der Zeitung Namibian Sun zeigen. Der Protestzug kletterte dennoch über die Absperrungen und versammelte sich friedlich vor dem Parlament. Oppositionspolitiker Bernandus Swartbooi spricht in der Pressekonferenz des Landless People’s Movement (LPM) von einer „toxischen Situation“ für die Demokratie, wenn der Zugang zum Parlament für friedliche Versammlungen derart verwehrt wird.

Die Oppositionsparteien und Betroffenenverbände betonen gleichzeitig immer wieder, sich der Ethnisierung dieses Konflikts entgegenzustellen. Bernandus Swartbooi erwidert einem Reporter, dass sie diesen Kampf nicht aus einer ethnischen Perspektive führen: „Es ist geht nur um die Geschichte der Nama und Herero, es ist ein Dekolonisations-Projekt. Es ist ein Projekt zur Restaurierung sozialer Gerechtigkeit.“ Die Verantwortung für die derzeitigen Spannungen sieht der Hamburger Historiker und Genozidforscher Jürgen Zimmerer im Gespräch mit dem Schweizer Radio (SRF) auf deutscher Seite: „Das Aussöhnungsabkommen ist eigentlich ein Spaltungsabkommen! Es spaltet die namibische Gesellschaft und die Verantwortung trägt die deutsche Regierung.“ Dieses Vorgehen erinnere fast an „das koloniale ‚Teile und Herrsche‘.“

Auch im Ausland gab es mehrere Protestveranstaltungen von Ovaherero- und Nama-Verbänden in der Diaspora. In London versammelten sich Nama und Ovaherero vor der deutschen Botschaft und protestierten für Reparationszahlungen statt eines Versöhnungsabkommens. Der Vorsitzende des Popular Democratic Movement McHenry Venaani sagte hierzu: „Über welchen Genozid sprecht ihr, wenn ihr nicht die Gemeinschaften miteinbezieht, die außerhalb [Namibias] in der Diaspora leben? Über 50.000 Namibier in anderen Ländern haben keine Repräsentation.“

Text: Martin Roggenbuck