Asien wird zu teuer
Der zweitgrößte Textilkonzern der Welt will einen Teil seiner Kleider künftig in Äthiopien fertigen lassen und unter anderem von den dortigen Niedriglöhnen profitieren. Momentan produziert H&M vor allem in Bangladesch. Um die weltweit stark wachsende Anzahl ihrer Filialen beliefern zu können, müsse der Konzern jedoch seine Produktionsstandorte stark ausbauen. Somit sei die Produktion in Äthiopien eher ein zusätzliches Standbein als ein Ersatz für die Produktion in Asien. Bis zu einer Million Kleidungsstücke pro Monat sollen zukünftig aus Äthiopien bezogen werden. Testaufträge gab es bereits, die Massenproduktion könne möglicherweise bereits diesen Herbst anlaufen.
Auch die äthiopische Regierung ist an ausländischen Investitionen von Bekleidungsproduzenten interessiert. Sie will die Textilindustrie des Landes in den kommenden Jahren wiederbeleben und bis 2016 Kleidungsstücke im Wert von 1 Milliarde US-Dollar exportieren. Die ersten Textilfabriken entstanden in Äthiopien 1939 – noch unter der faschistischen italienischen Besatzungsmacht. Momentan exportiert das Land Kleidung im Wert von ca. 100 Millionen US-Dollar pro Jahr.
Um ausländische Investoren anzulocken und die Wirtschaft stärker zu industrialisieren, führte die Regierung in Addis Abeba bereits Steuererleichterungen und vereinfachte Zulassungsverfahren für Unternehmen ein. Außerdem profitieren Konzerne wie H&M von niedrigen Zinssätzen bei Krediten, billigem Bauland und niedrigen Arbeiterlöhnen. Dies locke bereits unter anderem türkische, indische und chinesische Unternehmen an. Für H&M spiele aber auch die größere Nähe zum europäischen Absatzmarkt eine Rolle, da sich dadurch Transportkosten und Lieferzeiten verringern ließen.
Auch andere Unternehmen sind auf der Suche nach Alternativen zu chinesischen Standorten, wo die Produktionskosten insbesondere durch steigende Löhne in den letzten Jahren stetig zunehmen. Die Beratungsfirma Sanford C. Bernstein schätzt, dass die Kosten für ein Kleidungsstück in Äthiopien im Jahr 2011 lediglich die Hälfte des chinesischen Werts betragen haben. Allerdings warnen die Analysten schon vor steigenden Kosten auch in Äthiopien. Zwischen 2010 und 2011 erhöhten sich die Preise um 18 Prozent, in China waren es nur 7,7 Prozent. Setze sich diese Entwicklung fort, würde Äthiopien im Jahr 2019 mit China gleichziehen und der Standortvorteil wäre dahin.
Auch wenn internationale Unternehmen es gerne als wirtschaftlichen Nachteil darstellen, zumindest für die Arbeiter ist ein Anstieg der Löhne sicherlich von Vorteil.