Auf dem Fulbeweg bleiben…

Auf dem Fulbeweg bleiben…

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Rahime Diallo ist Referent für entwicklungspolitische Bildung, Musiker, Vater, Ehemann, Muslim, Fulbe und vieles mehr. Ein Portrait zwischen Guinea und Deutschland.

Foto: Afrika Medien Zentrum

In der afrikanischen Community Deutschlands ist er längst kein Unbekannter mehr: Abdou Rahim Diallo hat als Referent und Koordinator in Sachen entwicklungspolitische Bildung, Migration und Diaspora eine steile Karriere zurückgelegt. Ursprünglich aus der „knallharten Wirtschaft“ kommend, nimmt er 2006 eine Stelle als Fachkoordinator für Migration und Entwicklung in Solingen an. Hier kann er erstmals seine guineischen Wurzeln als interkulturelle Kompetenz nutzen. „Es war meine Herzensangelegenheit, aber auch meine berufliche Angelegenheit“, erzählt er. Seine Identität betrachtet Diallo als unerschöpfliche Ressource. „Man ist 100 Prozent, 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche Diaspora.“ Es dauert nicht lange, da nutzt er diese Ressource auf europäischer Ebene und schließlich, über eine Stelle im African Diaspora Policy Center in Den Haag, auch darüber hinaus.

Heute ist Rahime Diallo Leiter der Geschäftsstelle der Stiftung Partnerschaft mit Afrika (SPA) in Berlin. Diese bemüht sich, von der klassischen Entwicklungshilfe weg und auf eine tatsächliche Partnerschaft hinzuarbeiten. Dabei sei es vor allem wichtig, dass Akteur_innen bei (Austausch-)Projekten in ihrem jeweiligen Umfeld handeln du dennoch zusammenarbeiten und voneinander lernen. „Man schafft so ein Interesse füreinander. Und dadurch ändert sich das Gesellschaftsbild“, erklärt Diallo. Ein Ziel der Stiftung ist es auch, die afrikanische Diaspora in Deutschland stärker miteinander zu vernetzen. So gebe es immer die offene Frage, wer repräsentiert wird. Eine Community, ein Land, eine Region? „Wir können heute noch nicht sagen, dass es irgendeine Organisation oder Institution gibt, die für alle spricht und die auch von allen anerkannt ist.“ Darauf gelte es, hinzuarbeiten.

„Ich könnte das mein Leben lang machen“

Neben der Arbeit für die Stiftung engagiert sich Diallo in lokalen Projekten für seine Heimat Guinea. „Wenn man einmal da eingetaucht ist und gesehen hat, dass man mit seinem eigenen Grips und seinen eigenen Händen etwas hinterlässt, die Menschen berührt und sieht, was für Früchte das trägt, dann weiß man genau, warum man das tut. Berufung ist vielleicht ein bisschen pathetisch, aber das trifft es doch schon irgendwie. Ich könnte das mein Leben lang machen.“ Wichtig sei es, dabei partnerschaftlich vorzugehen. „Die Zeit der Entwicklungshilfe ist für mich schon längst vorbei. Entwicklungszusammenarbeit sehe ich sehr kritisch. Partnerschaft, Kooperation, das sind für mich die Konzepte der Zukunft.“

Nicht nur Brücken bauen, sondern auch darüber gehen

Die afrikanische Diaspora spielt Diallo zufolge in vielerlei Hinsicht eine tragende Rolle: „In der Interaktion mit den Herkunftsländern hat die Diaspora den Auftrag, nicht nur die Brücke zu bauen, sondern auch über die Brücke zu gehen und etwas zu bewirken, Austausch zu gestalten.“ Andererseits sei es ihre Aufgabe, Deutschland vielfältiger zu gestalten, sich selbst nicht kulturell aufzugeben und sich politisch einzubringen. Dies müsse im Austausch mit der Mehrheitsgesellschaft geschehen. „Es spielt auch eine Rolle, wie wir in der Gesellschaft betrachtet werden. Bevor man den Mund aufmacht, ist man schon in einer Schublade, in die niemand reingehört.“ Um diese Schubladen aufzubrechen, brauche es den Diskurs. Und das nicht nur auf nationaler Ebene, sondern weltweit. „Die globalen Herausforderungen sind so komplex, dass man auf Fachleute aus der Diaspora nicht verzichten kann“, so Diallo.

„Deutschland ist auch Entwicklungsland“

Wenn er sich für eine Heimat entscheiden müsste, würde Diallo nicht zögern: Seine Wahl fiele auf Guinea. „Wenn ich nach Hause reise, merke ich einfach, wie ich innerlich wachse. Man ist erfüllt, man ist komplett. Und vor allen Dingen merke ich, wenn ich zurückreise, in was für ein Loch ich falle, was mir alles fehlt.“ Insbesondere, was soziale Strukturen und das Zusammenleben in der Familie angeht, vermisst Diallo einiges in der Bundesrepublik. „Wir haben soziale und gesellschaftliche Strukturen, von denen Deutschland lernen könnte. Weil es hier in sozialen Bereichen sehr arm, sehr unterentwickelt ist. Deutschland ist auch Entwicklungsland, wenn man es so betrachten möchte.“

„Ich kann mich nicht als Deutscher fühlen“

Diese fehlenden sozialen Strukturen sind wohl ein Grund dafür, dass Diallo sich nicht „als Deutscher fühlen“ kann. „Meine Tochter sagt, sie ist Deutsche. Sie hat kein Problem damit, mehrere Identitäten zu haben. Für mich ist das schon eher ein Problem.“ Dabei weiß er, wie sehr beide Gesellschaften Teil von ihm sind. So sei er als Fulbe zu hundert Prozent Muslim und habe bestimmte Werte verinnerlicht. „Das ist zum Beispiel eine ganz klare Vorstellung von Respekt. Also vor allen Dingen, wie man sich selbst respektiert. Ich trinke keinen Alkohol, ich rauche nicht, ich bete, ich praktiziere meine Religion.“ Auch eine gewisse Verschlossenheit sei ‚fulbe‘ an ihm: „Das nennt man la uol pul aku. Es heißt so etwas wie ‚auf dem Fulbeweg bleiben‘. Das entdecke ich oft an mir: Ich scheine offen zu sein, aber nur bis zu einem gewissen Punkt. Dahinter ist eine Betonwand und die öffnet sich nur in sehr speziellen Situationen.“ Andererseits habe er auch viel ‚deutsches‘ an sich, indem er etwa die in seiner Heimat gängige Polygamie ablehnt und auch seine Religion anders ausübt. „Ich respektiere andere Glaubensrichtungen, ich sehe nicht dieses Missionieren-Müssen. Das setzt mich in Opposition zu sehr vielen meiner Ethnie, die in meiner Heimat leben.“

Patrioten in der Politik

Trotz – oder gerade wegen – der Liebe zu seinem Heimatkontinent sieht Diallo vieles kritisch. So wünscht er sich neben einer stärkeren Beteiligung von Frauen in Afrika Patrioten als politische Eliten, die „eine Politik entwickeln, die sowohl nach innen als auch nach außen Afrika schützt, entwickelt, fördert und vor allem beteiligt.“ Sein Patriotismus tritt jedenfalls deutlich zutage: „Ganz besonders wünsche ich mir, dass ein afrikanischer Staat die Fußballweltmeisterschaft gewinnt.“

Ronja Sommerfeld

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