Von Flüchtlingen besetzte Schule wurde geräumt… beinahe
Die Räumung wurde den Bewohner_innen der Schule angekündigt, dennoch ließ ein Polizeiaufgebot von 900 Beamten darauf schließen, dass man nicht mit einem friedlichen und freiwilligen Abrücken rechnete. Das Gebiet um die Ohlauer Straße im Bezirk Kreuzberg wurde großräumig abgesperrt, die Buslinie M29, die direkt durch die Gegend führt, über einen großen Abschnitt komplett eingestellt. Ein Großteil der Bewohner_innen erklärte sich am Dienstag bereit, die menschenunwürdigen Bedingungen zu verlassen und in andere Unterkünfte in Spandau und Charlottenburg umzuziehen. Angesichts des massiven Aufgebots von Polizei und der schlechten Lebensbedingungen in der Schule, in der sich auch Roma-Familien, Obdachlose und Drogendealer_innen einquartiert hatten, kann von Freiwilligkeit jedoch kaum eine Rede sein. Sie mussten sich registrieren lassen und wurden dann mit extra bestellten Bussen in ihr neues Heim gebracht, in eine ungewisse Zukunft.
Angesichts des Wortbruches des Bezirks und des Senats gegenüber den Flüchtlingen des Oranienplatzes will eine Gruppe von vierzig bis achzig Personen die Schule jedoch nicht verlassen. Teilweise haben sich diese Menschen in der Schule verschanzt oder sind auf das Dach geflüchtet, um die komplette Räumung zu verhindern. Sie schenken den Versprechungen des Bezirks keinen Glauben mehr. Zur Räumung des Oranienplatzes wurde den Flüchtlingen zugesagt, dass ihre Asylanträge zur Bearbeitung nach Berlin verlegt würden, dass sie eine sechsmonatige Duldung und damit Abschiebeaufschub erhalten würden, Zugang zum Arbeitsmarkt, zu Bildung und Deutschkursen. Erfolgt ist davon bisher nichts. Dafür stehen zehn der Oranienplatz-Flüchtlinge direkt vor einer Abschiebung. Diese Entwicklung führte nun offenbar dazu, dass sich die Restlichen gezwungen sahen, sich selbst in Geiselhaft zu nehmen. Sie drohen damit, sich im Falle einer Zwangsräumung vom Dach zu stürzen oder das Gebäude anzuzünden. Von Benzingeruch in der Schule ist die Rede. Ihre Verzweiflung kann man sich dadurch erklären, dass ihre Asylverfahren in anderen Bundesländern bereits bearbeitet und abgelehnt wurden. Von dem Angebot, sich in andere Unterkünfte zu begeben und dort das Asylverfahren abzuwarten, würden sie also ohnehin nicht profitieren. Ihre Forderung ist daher so klar wie simpel: unbefristetes Aufenthaltsrecht für alle noch in der Schule Verbliebenen. Dies sind jedoch Forderungen, die weder Bezirk noch Senat rechtlich erfüllen können. Die Politik weist jede Verantwortung von sich. Innensenator Henkel machte deutlich: „Die gesetzlichen Regeln sind klar, das Angebot wurde gemacht und nun kann ich den restlichen Personen nur dringend raten, dieses Angebot anzunehmen und die Schule zu verlassen.“ Verhandlungsbedarf oder einen Bedarf zur Änderung der Asylpolitik sieht er nicht.
Auch die grüne Bezirksregierung sieht sich massiven Vorwürfen ausgesetzt, angesichts des bisherigen Vorgehens. Die Schule ist weiträumig abgesperrt, niemand darf hinein, es gleicht einem Belagerungszustand. Erst am Mittwochnachmittag durften Nahrungsmittel durch Pfarrer Stock und den Evangelischen Kirchenkreis ins Gebäude gebracht werden. Stock zu der zunächst verweigerten Annahme der Essensspenden: „Wir hoffen doch, dass noch so viel Humanität in dieser Stadt herrscht, dass wenn man sagt, man verhandelt miteinander, man sich nicht gegenseitig aushungert.“ Direkter Kontakt zu den Demonstrierenden ist schwierig. Bisher durften keine Pressevertreter_innen hinein, von den Besetzer_innen anberaumte Pressekonferenzen durften nicht abgehalten werden. Begründet wird dies mit der angespannten Sicherheitslage, es wirkt jedoch wie eine massive Beschneidung der Pressefreiheit. Selbst eine spontan anberaumte Pressekonferenz vor den verschlossenen Toren der Gerhard-Hauptmann-Schule durch das Bezirksamt verkommt zur Farce. Bezirkspressesprecher Langenbach lässt keine Fragen zu, direkter Kontakt zu den Besetzer_innen ist nicht möglich. Als ein Aktivist aus dem Gebäude kommt, um zu den Journalisten zu sprechen, wird er von Langenbach angewiesen, sich wieder aufs Dach zu begeben. Es kommt zu einem Gerangel mit der Polizei, bei der der Mann schreiend zu Boden geht, alles vor den laufenden Kameras der Medienvertreter_innen.
Die Situation scheint im Moment also festgefahren. Eine schnelle Lösung wird es wohl nur geben, wenn die Polizei das Gebäude gewaltsam räumt. Eine letzte Verhandlungsrunde wurde den Flüchtlingen für heute, Freitag, den 27. Juni 2014, angeboten: Henkels Staatssekretär stünde für Gespräche an einem neutralen, geschützten Ort – der Heilig-Kreuz-Kirche in Kreuzberg – zur Verfügung, allerdings unter der Bedingung, dass „alle Personen, die sich im Haus befinden, dieses aufgrund der Gefahrenlage verlassen“. Ein sicheres Geleit werde für alle gewährleistet. Wohin das allerdings am Ende führen soll, bleibt unklar. Auch bei diesem Termin wird voraussichtlich keine Presse zugelassen sein. Die grüne Bezirksstadträtin Monika Herrmann gab an, dass die Flüchtlinge das Angebot diskutieren, ansonsten gilt aber: „Der Bezirk hat alles getan, was in seiner Macht steht. Der Senat hat sich bewegt. Jetzt liegt es an den Flüchtlingen, dieses Gesprächsangebot auch wahrzunehmen.“ Da mit einer Aufgabe durch die Protestierenden sofort der Druck von den politischen Handlungsträgern genommen würde und der Protest seine Sichtbarkeit verlöre, darf davon ausgegangen werden, dass zum jetzigen Zeitpunkt niemand die Schule freiwillig verlassen wird. Welche Konsequenzen es haben wird, wenn die Flüchtlinge dieses Gespräch ablehnen, lässt sich nicht nur erahnen.
Anja Okwuazu