KENAKO Afrika-Festival auf dem Alexanderplatz 2023

KENAKO Afrika-Festival auf dem Alexanderplatz 2023

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Die Designerin Marami mit den Models nach ihrer erfolgreichen Modenschau © Afrika Medien Zentrum
Die Designerin Marami mit den Models nach ihrer erfolgreichen Modenschau © Afrika Medien Zentrum

Das diesjährige KENAKO Afrika-Festival fand pünktlich zum 10. Jubiläumsjahr erstmals nach der Corona-Pandemie wieder in seiner vollen Größe auf dem Alexanderplatz statt. Vom 20. – 30. Juli wurde unter dem Motto „Zukunft gemeinsam gestalten: Städtepartnerschaften als Chance im Kampf für grüne Innovationen und gegen die Klimakrise?“ ein reiches Bildungs- und ein schallendes Bühnenprogramm geboten.

Das Festival setzt sich aus einem Markt, bei dem es stets von Kleidung über Instrumente bis hin zu Essen und Trinken eine große Auswahl gibt, einem abendlichen Bühnenprogramm verschiedener Musiker*innen, unter anderem aus Ghana, Senegal und Südafrika und, in Fortsetzung an die Kenako-Feste vor Corona, einem Bildungsprogramm. Auch wieder dabei war dieses Jahr eine Modenschau und ein Workshop zur gerechteren Textilproduktion unter dem Aspekt der Wiederverwertung. Die Kinder-Theatergruppe von Global New Generation führte ein mitreißendes musikalisches Theaterstück über die Identitätsbildung bei Kindern mit Rassismus-Erfahrungen auf. Trotz des sehr wechselhaften und zum Teil stürmischen Wetters über die zehn Tage hinweg, konnten die Veranstalter*innen eine rege Beteiligung und eine hohe Zahl neugieriger Besucher*innen registrieren. 

Teil des Bildungsprogrammes waren zum einen Diskussionen, Vorträge und Lesungen. Aber auch durch zahlreiche Mitmach-Angebote werden Menschen erstmalig dazu angeregt, ihr Bild und Stereotype vom afrikanischen Kontinent zu überdenken und zu reflektieren. Das beliebte geographische Puzzle zu den Ländern Afrikas lud nicht nur Kinder und Jugendliche dazu zum spielen ein. Auch für viele Erwachsene ist die Zuordnung der verschiedenen afrikanischen Staaten eine Herausforderung und sorgt immer wieder für Aha-Erlebnisse. Verschiedene Quizze über Flaggen und Städtepartnerschaften – passend zum diesjährigen Motto – veranlassten einen weiteren Austausch miteinander. In einem Vernetzungsspiel konnten Verbindungen zwischen afrikanischen und europäischen Regionen durch Schnüre dargestellt werden. Wo kommt zum Beispiel der Kaffee her, den Sie jeden Tag trinken? Das Spiel gibt einen Hinweis darauf, inwiefern die eigenen Aktionen in Zeiten einer globalisierten Welt Auswirkungen auf andere Menschen haben können.

 Die abendlichen Musikveranstaltungen luden zur Entspannung, vor allem aber zum Tanzen ein. Besonders beliebt schien die beninische Afro-Funk Band Yes Papa am Mittwoch (28. Juli). Yes Papa ist momentan auf Tour in Europa, die Sängerin hat selbst einen engen Bezug zu Berlin. Die persönliche Mischung der Band aus traditionellerem Afro-Beat mit Soul war sehr mitreißend.  Für angenehme Klänge sorgte auch die sudanesische Gruppe Sun Blues am Samstag (29. Juli) und zeigte mit ihrer vom Instrument „Oud“ geprägten Musik eine Diversität der afrikanischen Musiklandschaft, die global eher durch Afrobeats bekannt ist, auf. Vido Jelashe präsentierte mit seiner Band am vorhergehenden Samstag (22. Juli) Township-Music aus Südafrika.  

Anlass zum diesjährigen Festival-Motto sind zahlreiche globale Herausforderungen, wie die der Ressourcenausbeutung, klimatische Veränderungen und globale Chancenungleichheiten. Durch neue Ereignisse, wie der Corona-Pandemie und dem russischen Angriff auf die Ukraine, geraten Ziele der Nachhaltigkeit trotz der immensen Dringlichkeit verstärkt in den Hintergrund. Besonders deshalb ist es wichtig, über globale Verstrickungen der Probleme zu informieren und zu diskutieren. Am Ende vieler Podiumsdiskussion waren die Zuhörer*innen mit Antworten bereichert aber auch angeregt zu weiteren kritischen Überlegungen:

Die Notwendigkeit von Bildungsreformationen vertretend, gaben verschiedene Referent*innen Einblick in die Komplexität der Probleme. In seinem Vortrag über sein Projekt Open Academy berichtete Patrick Chamberlain über Möglichkeiten durch revolutionäre Bildung zur Förderung einer gerechteren Welt. Die Ideen dieser revolutionären Bildung bestehen unter anderem aus einer Anpassung von Bildungssystemen an die Bedingungen verschiedener Länder, beispielsweise einer Wissensvermittlung nach Regionalität, wie der regionalen Pflanzenheilkunde im medizinischen Bereich. Menschen wandern zu einem Großteil für ihre Bildung aus und kehren wegen mangelnder Perspektiven oft nicht in Ihre Heimat zurück. Dieser Effekt wird auch „Brain-Drain“ genannt. Die Lösung besteht Chamberlains Auffassung nach darin, vor Ort mehr in die Bildung zu investieren, wobei diese auch zugangsfreier und praktisch vermittelt werden muss.

Weitere Diskussionen, beispielsweise über den Stellenwert von Umweltschutz in afrikanischen Verwaltungen oder über den technologischen Wandel boten einen regen Austausch zwischen Publikum und Referierenden und ergaben, dass Bildung und Teilhabe an Diskursen essenziell für zukünftige Innovationen zugunsten der zivilen Bevölkerung und der Anpassung an die Folgen des Klimawandels sind. Erschwert wird dies zum Teil durch Regierungen, die sich nicht hinreichend in der Verantwortung sehen.

Die Aktualität und das Potenzial von (Städte)Partnerschaften wurden beleuchtet, wobei sich Referierende, die diese vertraten, auch mit kritischen Fragen hinsichtlich neokolonialer Praktiken konfrontiert sahen. Zum einen wurde eine verstärkte Investition in den Wissenstransfer sowie die Reflektion über koloniale Zusammenhänge und deren Aufarbeitung gefordert.

Mit alternativen Denkweisen zur Sicht auf Klimabewegungen und deren Aktivist*innen konfrontiert, sah sich das Publikum in dem Input zu Klima(un)gerechtigkeiten durch das Black Earth Kollektiv. So lasse sich die Klimakrise als eine Frage des Sozialen definieren, in dem Ungerechtigkeiten und Hierarchien präsent sind. Das Kollektiv hat es sich zur Aufgabe gemacht, de-koloniale und queer-feministische Perspektiven in Debatten rund um Umwelt und Klima zu etablieren, um intersektionale Klimanarrative zu schaffen.

In ihrer Lesung Generation Repair stellte Afrotak TV künstlerisch ihre Sammlung namibischer Stimmen zum Genozid an den Herero und Nama von 1904 bis 1908 vor. Dieser durch die deutsche Kolonialmacht in Namibia veranlasste Völkermord wird bis heute nicht vollständig durch die deutsche Regierung anerkannt. Auf künstlerische Art und Weise setzt sich Afrotak TV mit dem Buch und weiteren afrofuturistischen Projekten für die Aufarbeitung kolonialen generationsübergreifenden Traumas.

Unter der spannungsgeladenen Fragestellung, ob Deutschland seine eigene Kolonialvergangenheit leugnet, fand am Sonntag, den 30. Juli die abschließende Veranstaltung statt. Dabei stellte sich heraus, dass der Holocaust zwar umfassender behandelt wird, seine Ursprünge jedoch schon in früheren Genoziden und anderer Kolonialpraktiken liegen. Die seit einigen Jahren verstärkte Auseinandersetzung auf institutioneller Ebene mit der eigenen Kolonialgeschichte ist in Deutschland der Arbeit von Aktivist*innen zu verdanken. Damit ist es jedoch nicht getan. Um eine gerechtere Welt ohne neokoloniale Ausbeutung zu schaffen, muss auch die Politik sich aktiv mit der Aufarbeitung auseinandersetzen. Dafür sind der Dialog und Aufklärung ausschlaggebend.

Über das Festival hinweg wurden viele Diskurse insbesondere um Umweltschutzbemühungen, Chancen und Risiken durch Erneuerungen in der Technologie und globale Hierarchien berührt. Immer wieder kritisch hinterfragt, auch durch das Publikum, wurden neokoloniale Praktiken. 

Allen Mitwirkenden sei gedankt für das erfolgreiche Festival. Wenn Sie dieses Jahr nicht dabei sein konnten, so sind Sie nächstes Jahr wieder herzlich eingeladen zum Kenako-Festival auf dem Alexanderplatz und auch zum Kenako-Kids Festival im FEZ Berlin.

Michelle Sandfuchs