Tunesien: Die neue Verfassung ist ein historischer Meilenstein

Tunesien: Die neue Verfassung ist ein historischer Meilenstein

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Tunesien gilt als Mutterland des arabischen Frühlings und setzt auch jetzt – durch die am 10.02.2014  in Kraft getretene Verfassung – vorbildliche Maßstäbe. Im Dezember 2010 begannen in Tunesien die Demonstrationen gegen das autoritär herrschende Regime und die vorherrschenden politischen und sozialen Strukturen, was zum Sturz des Präsidenten Zine el-Abedin Ben Ali führte. Seitdem gilt es, dem Staat eine neue, demokratische Form zu verleihen – unter anderem durch die Wahl einer Übergangsregierung, einer verfassungsgebenden Versammlung und auch durch die Ausarbeitung einer Verfassung.

Da das Land neu strukturiert werden muss, herrscht große Unsicherheit, und die Arbeit an dem Gesetzeswerk wurde durch Machtkämpfe von religiösen Kräften und der Opposition verzögert. Der Mord am Oppositionspolitiker Mohamed Brahmi im Juli 2013 hatte die Krise zugespitzt, sodass die islamistische Regierungspartei Ennahda zurücktrat. Seitdem arbeitete eine neue Übergangsregierung unter Präsident Moucef Marzouki und gestaltete die neue Grundlage des demokratischen Staates Tunesien.

Nach der Abstimmung des Parlaments, welches der Verfassung mit überragender Mehrheit zustimmte, wurde sie auch international gelobt. Der UN-Generalsekretär Ban Ki Moon nennt sie einen „historischen Meilenstein“ und gesteht ihr die Rolle als Vorbild für andere Staaten in der Reformation zu. Besonders durch die Hervorhebung des Themas Gleichberechtigung (Art. 20) gilt sie als wegweisend. Zum Beispiel legt sie die Zusammensetzung des Parlaments vor, welches zur Hälfte aus Frauen bestehen soll.
Außerdem werden Werte wie Meinungs-, Gewissens- und Pressfreiheit großgeschrieben.
Im Gegensatz zu vielen anderen arabischen Ländern besteht auch die Grundlage nicht aus der Scharia, und es gibt keine Sonderregelung für das Militär, welches sich ansonsten der zivilen Kontrolle komplett entziehen könnte. Da ein Großteil der Bevölkerung dem Islam angehört, wird er als Staatsreligion anerkannt. Dennoch wird sein Einfluss klar beschränkt. Vor allem dadurch, dass Religionsfreiheit und ein neutrales Bildungssystem unabhängig von parteiischen Institutionen existiert. Somit bietet die Ausarbeitung eine optimale Verbindung von Staat und Religion und akzeptiert die wichtige Rolle, die der Islam in der Gesellschaft darstellt, ohne dass Freiheiten eingeschränkt werden.

Nach allen Schwierigkeiten, die bisher überwunden wurden, folgen aber weitere Herausforderungen. Vorerst bietet die Verfassung ein gewisses Maß an Stabilität und stellt eine solide Grundlage für einen demokratischen Staat dar. Es müssen aber weitere Schritte folgen, um die Demokratie endgültig in Tunesien zu verankern. Noch in diesem Jahr sind Wahlen geplant, bei der die Übergangsregierung abgelöst werden soll. Diese könnten den Abschluss des politischen Übergangs besiegeln.

Kyra  Hertel

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